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Salifaktur: Neues Superfood made in Sachsen-Anhalt

Seespargel wächst in Küstenregionen – und in Burg bei Magdeburg. Dort haben Julian Engelmann und Ken Dohrmann den ersten deutschen Anbaubetrieb für die gesunde Salzpflanze gegründet.

Burg. Tomate-Mozzarella. Avocado. Seespargel. Seespargel? Geht es nach Julian Engelmann und Ken Dohrmann, lösen die kleinen knackigen grünen Stängel mit dem zart-zitronigen, salzigen Geschmack bald keine Fragezeichen mehr aus. Ihre Vision: Das vitamin- und mineralstoffreiche Gemüse, das auch als Salicornia oder Queller bekannt ist, soll in Zukunft genauso selbstverständlich auf deutsche Tische kommen, wie die italienische Vorspeise und die grüne Butterfrucht aus den Tropen.

Die beiden Gründer der Salifaktur GbR wollen Seespargel in die Regale des deutschen Lebensmitteleinzelhandels bringen. „Am besten neben Gurke und Tomate, dazu passt er auch exzellent“, sagt Julian. Dafür erforschen er und Ken die Kultivierung der gesunden Salzpflanze im Rahmen eines Förderprojektes. In Burg bei Magdeburg haben sie 2020 ein altes Gewächshaus in einen Anbaubetrieb für Seespargel umgebaut. Echte Pionierarbeit. Vor ihnen hat das in Deutschland noch niemand versucht.

In Ländern wie Frankreich, Holland, Spanien oder Israel ist das Superfood, das wild in Küstenregionen und auf salzigen Böden wächst, bereits etabliert. Julian kam erstmals in den Genuss von Seespargel, während er Environmental Entrepreneurship (Umwelt-Unternehmertum), in Schottland studierte. „Die Schotten sind jetzt nicht unbedingt für ihre Gemüse-Kultur bekannt. Umso erstaunlicher ist es dann, dort ein völlig fremdes Gemüse zu sehen, was man nie vorher auf dem Schirm gehabt hat“, so der 30-Jährige.

Zurück in Deutschland lernten sich Julian und Ken in Magdeburg kennen. Beide hatten die Landeshauptstadt durch ihre Partnerinnen zur neuen Heimat gemacht. Julian stammt ursprünglich aus Frankfurt am Main, Ken aus einem kleinen Ort in Niedersachsen bei Hannover. Die Gelegenheit zum beruflichen Neuanfang in der neuen Wahlheimat wollten beide nutzen, um etwas Eigenes auf die Beine zu stellen. Ihre Kompetenzen ergänzten sich gut. Julian hatte bereits Berufserfahrungen im Vertrieb und Ken brachte durch seine landwirtschaftliche Ausbildung und das Studium der Agrarwissenschaften Know-how für den Anbau des Salicornia mit.


Pionierarbeit: Chance und Hürde

Zur Gründung motiviert wurden die beiden durch die Tatsache, dass es bis dato keine Erzeugung des Seespargels in Deutschland gab. Ein Markt über den Obst- und Gemüsegroßhandel wie in Hamburg oder Berlin existierte jedoch bereits aus dem Import der Ware aus Isreal. Die Möglichkeit, als erster Betrieb deutschen Seespargel anzubieten, wollten die beiden nutzen. Das zunehmende Bewusstsein vieler Verbraucher*innen für Regionalität war zusätzlicher Antreiber. 

Jedoch gab es weder Informationen zum Anbau noch zu Marktdaten des Salicornia. Eine Herausforderung beim Aufbau des Geschäftsmodells. „Wir haben nach einer Möglichkeit gesucht, über ein Förderprogramm zunächst Erfahrungen zur Kultivierung und Entwicklung von Vermarktungswegen zu sammeln“, sagt Ken.

„Vor 15 Jahren kannte noch niemand Avocados und heute kann jeder eine Guacamole machen.“ — Julian Engelmann

Fündig wurden sie in der Europäischen Innovationspartnerschaft (EIP – Agricultur & Innovation). Das Programm verzahnt Forschung und landwirtschaftliche Praxis, um innovative, nachhaltige und ressourcenschonende Ideen für die Zukunft zu entwickeln. Was den Seespargel neben seinen geschmacklichen Vorzügen auch unter diesen Gesichtspunkten interessant macht? Immer mehr Ackerflächen versalzen durch Trockenheit oder salzhaltiges Grundwasser.

Während herkömmliche Pflanzen auf den Böden keine Chance mehr haben, könnten Salzpflanzen eine Alternative sein, um die landwirtschaftliche Nutzung und die Versorgung mit Gemüse aufrechtzuerhalten. Ken und Julian bewarben sich mit einem umfangreichen Aktionsplan, stellten ihr Projekt einer Jury vor und erhielten schließlich eine Zusage zur Förderung ihres Innovationsprojektes „Salzpflanzen aus Sachsen-Anhalt“.


Wissenschaftliche Unterstützung

Ein Team der Otto-von-Guericke-Universität untersuchte den deutschen Zielmarkt und erstellte ein Marketingkonzept für Salzpflanzen. Eine wissenschaftliche Vernetzung der Seespargel-Anbauer gab es durch eine Zusammenarbeit mit dem Fraunhofer-Institut für Verfahrenstechnik, bei der eine Gewürzvariante aus der Salicornia-Pflanze entwickelt wurde. Das Salz für die Pflanzerde kommt direkt vom Salzberg des Kaliwerkes im benachbarten Zielitz, dem sogenannten Kalimandscharo. Und Ken und Julian profitierten vom Austausch mit einem belgischen Unternehmen, das das Saatgut für Salicornia vertreibt. Erst durch das Projekt und die damit verbundenen Möglichkeiten wurden Ken und Julian zu Gründern.

Sie starteten die Grow Up Salicornia GbR, in der sie die Kultivierung und Vertriebswege von Salzpflanzen erforschen, und die Salifaktur GbR, eine Ausgründung, mit der sie bereits eine Vermarktung von frischem Seespargel und der Gewürzvariante „SALS“ aus der Salzpflanze aufgebaut haben. Für die Wahl der Gesellschaften bürgerlichen Rechts (GbR) gab es gleich mehrere gute Gründe. „Dafür sprach, dass es sehr schnell ging“, sagt Ken. Als die Bewilligung der Förderung kam, sei Eile geboten gewesen und die Gründung einer Gesellschaft eine Bedingung. „Das Mindestkapital und Notarkosten wollten wir gerne sparen. Zudem haben wir uns das Projekt auch ohne das Backup der beschränkten Haftung zugetraut.“


Gründen in Theorie und Praxis

Obwohl Julians Studium einen Gründungsschwerpunkt hatte, war die Gründung in der Praxis dann doch anders als gedacht. „Ich bin von der Uni ein bisschen enttäuscht“, sagt Julian. „Wir haben fast ausschließlich das Business Model Canvas ausgefüllt und irgendwelche theoretischen Sachen gemacht. Ich glaube, da hatte Ken vielleicht schon einen Vorteil, weil er mit seiner bisherigen Berufserfahrung im landwirtschaftlichen Umfeld mit einer gewissen Hands-on-Mentalität ausgestattet war.“

Ken verweist auch auf die Unterstützung durch die Agentur für Arbeit. „Über den Gründungszuschuss des Arbeitsamtes gab es eine Förderoption für die Erstellung eines Businessplans. Das war nicht schlecht und sehr detailliert“, so der Landwirt. „Es hat uns insbesondere dabei geholfen, eine Übersicht zu den Finanzen zu bekommen und eine erste Rentabilitäts- sowie Liquiditätsanalyse durchzuführen.“

Fehlte nur noch der passende Standort. Auch wenn der Salzlandkreis aus marketingtechnischen Gründen ideal gewesen wäre, sind Julian und Ken in Burg im Jerichower Land fündig geworden. Mehrere Bedingungen mussten passen. „Voraussetzung war ein Gewächshaus und das sollte innerhalb von einer halben Stunde von Magdeburg erreichbar sein“, sagt Ken. „Aber es musste natürlich auch vonseiten der Eigentümer die Bereitschaft da sein, an uns als Jungspunde ohne Erfahrungen zu verpachten.“

In Burg fanden sie zum ersten Mal jemanden, der ihnen ihr Vorhaben auch zugetraut hat. „Unser Vermieter hat 40 Jahre lang eine Gärtnerei betrieben. Das ist ein riesiger Erfahrungsschatz, auf den wir zurückgreifen können“, so Julian. „Schon oft, hat er uns mit einfachen Lösungen geholfen, die uns Zeit und die Fahrt zum Baumarkt erspart haben. Außerdem habe ich den Eindruck, es macht ihm extrem viel Spaß, dass hier nochmal was passiert.“

Der Umbau des bis dato ungenutzten Gewächshauses dauerte ein Jahr. Bevor der erste Seespargel wachsen konnte, war eine Komplettentkernung notwendig. Wenn sich die beiden Gründer an diese Zeit erinnern, denken sie an das Tragen alter Stahlrohre, das mühsame Anlegen von Beeten und vor allem an Ausgaben. Allein hätten sie das nicht geschafft, sagen Ken und Julian heute. Mit angepackt haben Aushilfskräfte und Kens Vater, der als einer von zwei Angestellten auch bei der Ernte unterstützt, die in der Zeit von März bis Oktober zweimal pro Woche ansteht.


Avocado-Effekt für den Seespargel

Nicht immer waren sie mit den Ergebnissen zufrieden. Am Anfang hätten sie auch schon mal eine Ernte „versemmelt“, doch das sei unter Learning by doing zu verbuchen. Von der jetzigen Qualität ihres Seespargels sind Ken und Julian überzeugt. Vor allem Großhändler*innen, die die Gastronomie in Deutschland beliefern, gehören zur Kundschaft. Ein Verkauf an Privatpersonen, etwa über einen Online-Shop wäre aktuell nicht zu schaffen und auch aus ökologischen Gründen nicht zu vertreten, da für Verpackung und Kühlung zu viele Ressourcen verwendet werden müssten. Doch klar ist: Da geht noch mehr!

„Wir müssen einen Weg finden, das Geschäftsmodell auszubauen und zu ergänzen“, sagt Ken. Mittelfristig brauche es mehr Anbaufläche und ein größeres Marketing-Budget, damit der Seespargel bald in aller Munde ist. Dass das auch ohne Förderung gelingt, die 2023 endet, dafür sehe es aktuell gut aus. Für ihren Salicornia und das Pflanzensalz gab es bereits Preise. Regionale und überregionale Medien berichteten von dem neuen Superfood aus Sachsen-Anhalt.

Die beiden Gründer glauben fest an den Avocado-Effekt für ihr salziges Gemüse. „Vor 15 Jahren kannte noch niemand Avocados und heute kann jeder eine Guacamole machen“, sagt Julian. Dieses Potenzial habe der Seespargel definitiv auch.

Veröffentlicht am 1. September 2022

Autorin: Anne Breitsprecher
Fotografin: Carolin Krekow