Sachsen-Anhalt

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Gemeinsam für Nachfolge in Sachsen-Anhalt

Unternehmen, deren Zukunft aufgrund ungeklärter Nachfolge ungewiss ist: Dieses Problem ist in den neuen Bundesländern besonders extrem. Auf die Gründungswelle nach der Wende folgt 30 Jahre später eine Ruhestandswelle. In Sachsen-Anhalt haben die vier gewerblichen Kammern aus diesem Grund das Netzwerk Unternehmensnachfolge gegründet (N: UN).

Was die Gemeinschaftsinitiative bietet, an wen sie sich richtet und warum Sprecherin Antje Bauer trotz angespannter Lage zuversichtlich ist, darüber hat Anne Breitsprecher mit ihr gesprochen. 

Wie bewerten Sie die aktuelle Lage in Sachsen-Anhalt, wenn es um Nachfolge geht? 
Momentan reden wir davon, dass in den nächsten fünf Jahren circa 3600 Übernahmen anstehen. Das sind etwa fünf Prozent der Unternehmen in Sachsen-Anhalt. Im Jahr betrifft das 720 Firmen, und das sind wiederum 120 mehr, als wir noch vor vier Jahren errechnet hatten. 

Unsicherheiten in Bezug auf die Folgen der Corona-Pandemie oder aufgrund des Krieges in der Ukraine haben ebenfalls einen Einfluss auf die Nachfolgen im Bundesland. Wir gehen aktuell davon aus, dass Übergaben verschoben werden, bis sich die Lage wieder stabilisiert hat, und dass es Zugeständnisse an den Verkaufspreis geben wird. Momentan liegt der Fokus der Unternehmer vielerorts mehr denn je auf der bloßen Existenzsicherung. 

Wie viele Unternehmer außerdem durch Post-Covid-Erkrankungen aufgeben werden müssen, ist derzeit noch ungewiss. Wir rechnen aber damit, dass das einen Einfluss haben und die Zahl an Übergaben weiter steigen wird.  

Was lässt sich im Kammer-Netzwerk besser umsetzen als im Alleingang?
Ein ganz konkretes und etabliertes Projekt des Netzwerks ist beispielsweise die jährliche Nachfolgewoche, die wir gemeinsam gestalten. Dabei geht es eine Woche gezielt und landesweit um Veranstaltungen, Sprechtage und Beratungsangebote zum Thema Nachfolge. Die Durchschlagskraft und öffentliche Wahrnehmung dafür sind mit dem Netzwerk viel besser. Zudem haben potenzielle Übernehmer selten ein konkretes Unternehmen im Blick oder eine bestimmte Region. Es macht also Sinn, alles aus einer Hand und landesweit anzubieten. 

Gibt es Branchen, die besonders von einer ungeklärten Nachfolge betroffen sind?
Ja, die gibt es. Aktuell sind es die Gastronomie und der Handel – und das nicht nur pandemiebedingt. In der Gastronomie ist eindeutig der demografische Wandel ein Grund, also das Abwandern der Menschen aus den Regionen in die Städte und der damit einhergehende Nachfragerückgang. Hinzu kommen fehlende Mitarbeiter und die enorm gestiegenen Betriebskosten. Wir sind als Netzwerk trotzdem zuversichtlich. Bisher war es so, dass circa 70 Prozent der angestrebten Unternehmensübergaben branchenübergreifend gelingen, und wir haben bislang noch keine Anzeichen, dass sich das ändern wird.

Was ist mit den anderen 30 Prozent?
Die Lücke kann geschlossen werden. Das setzt aber vier Bedingungen voraus: Erstens, dass das zu übergebende Unternehmen wettbewerbs- und zukunftsfähig bleibt. Beim stationären Einzelhandel heißt das zum Beispiel auch, das Online-Geschäft für sich zu nutzen. Eine zweite wichtige Voraussetzung ist, dass die Zahl der Gründungswilligen nicht weiter zurückgeht. Drittens dürfen sich die wirtschaftspolitischen Rahmenbedingungen nicht weiter verschlechtern. Da ist die Erbschaftssteuerreform nur ein Punkt – es gibt noch sehr viel mehr. Und viertens sollten die Übernehmer auch die Finanzierung gestemmt bekommen. Hier sind auch die Banken gefragt – bisherige Prüfkriterien und Finanzierungsangebote müssen überdacht werden.

An wen richten sich Ihre Netzwerk-Aktivitäten?
Unternehmer, die ihr Unternehmen übergeben wollen und Nachfolger sind natürlich unsere Hauptzielgruppen. Wir richten uns aber auch an Politik, Wirtschaftsförderung und Kommunalverwaltungen sowie Banken und Partner, denn das Thema Unternehmensnachfolge ist ja nicht nur etwas, das Kammern oder den Unternehmer angeht. Er braucht Berater, er braucht eine Bank, er braucht eine Kommune, die entsprechende Rahmenbedingungen für das Unternehmen schafft. 

"Bisher war es so, dass circa 70 Prozent der Übergaben gelingen, und wir haben bislang noch keine Anzeichen, dass sich das ändern wird."

In welchen Phasen wenden sich Unternehmer*innen und Nachfolger*innen an N:UN?
Als wir uns 2007 im Netzwerk zusammengeschlossen haben, bestand die große Herausforderung darin, dass das Thema bei den Unternehmern noch nicht ausreichend präsent war. Viele Unternehmen haben sich zu wenig und meistens zu spät Gedanken über eine Nachfolge gemacht. Das ist besser geworden, aber es gibt immer noch Luft nach oben. 

Die größte Herausforderung für die potenziellen Nachfolger besteht darin, ein für sie passendes Unternehmen zu finden. Einen guten (ersten) Ansatz und Überblick bei der Suche bietet nexxt-change.de. Das ist die bundesweit wirkende Online-Nachfolge-Börse, in der sowohl Unternehmen, die zur Übergabe stehen, als auch Gesuche von interessierten Nachfolgern geführt werden. Hier fündig zu werden, ist aber noch kein Garant für eine gelingende Übergabe. Unternehmer und Übernehmer müssen dann auch menschlich miteinander können und man muss sich über den Kaufpreis einig sein. 

Unser Netzwerk unterstützt diesen Prozess beispielsweise durch persönliche Beratung und vielfältige Informationen in Form von Veranstaltungen, Sprechtagen und Publikationen. Das sind unsere Kernaufgaben, bei denen wir auch und insbesondere durch die Beratervereinigung Unternehmensnachfolge Sachsen-Anhalt unterstützt werden. 

Was sind aus Ihrer Sicht die größten Herausforderungen einer Übernahme?
Es ist ein komplexer Prozess, der für Nachfolger mit der Selbstfindung als Unternehmer beginnt, zum Beispiel mit der Frage, in welchem Bereich man sich selbstständig machen möchte. Übergebende müssen für sich klären, in welche Hände sie die eigene Firma geben möchten. Soll sie in der Familie bleiben, eignet sich ein Mitarbeiter als Nachfolger oder sucht man nach einem externen Käufer? 

Hat man den passenden Partner gefunden, geht es darum, den Wert des Unternehmens bestimmen zu lassen und einen Kaufpreis festzulegen. Hierbei kann der Steuerberater helfen, für den späteren Kaufvertrag braucht es dann Rechtsbeistand. Da es sich bei vielen Unternehmen um das Lebenswerk handelt, ist die Übergabe auch eine emotionale Herausforderung. Kurzum: Die Unternehmensnachfolge ist ein großer finanztechnischer und steuerrechtlicher Akt, der auch mit viel Bürokratie verbunden ist. Das unterschätzen viele.

Was macht die Nachfolge trotzdem attraktiv?
Der große Vorteil ist: Es gibt bereits eine Geschäftsidee und ein am Markt bewährtes Produkt oder Dienstleistung. Um einen geeigneten Standort, Räumlichkeiten, Maschinen und Ausstattung muss man sich zumindest vorerst keine Gedanken mehr machen. Man fängt nicht überall bei null an. Ich habe Mitarbeiter, die ich nicht erst suchen muss und die auch wissen, was sie tun. Die Geschäftsidee ist markterprobt und es ist ein Kundenstamm vorhanden. Insgesamt gesehen ist das Geschäftsrisiko also oftmals geringer und man ist am Markt bekannt. 

"Die Landesregierung, jeder Bürgermeister, jeder Landrat, sollte ein ureigenstes Interesse an erfolgreichen Unternehmen… in der Region haben. Insofern müssen wir uns alle gemeinsam darum kümmern, dass Nachfolge gelingt."

Wie viele Übernahmen haben sie seit Beginn des Netzwerks vermittelt? 
Diese Frage lässt sich nicht mit einer konkreten Zahl beantworten. Vor allem deshalb nicht, weil Nachfolgen viele Paten haben und meistens nicht nur einem Unterstützer zu verdanken sind. Unsere Aktivitäten zur Begleitung von Übergaben haben wir aber selbstredend fest im Blick. Darüber führen wir auch jährlich eine Geschäftsstatistik. Im vergangenen Jahr haben wir zum Beispiel neun Veranstaltungen mit 250 Unternehmern und 24 Expertensprechtage mit 134 Teilnehmern durchgeführt. Und wir haben allein im zurückliegenden Jahr 435 Beratungsgespräche geführt. 

Was macht für Sie eine erfolgreich vermittelte Nachfolge aus?
Wenn das Unternehmen durch die Nachfolge weiterlebt. Wenn es erfolgreich am Markt besteht und Arbeits- und Ausbildungsplätze gesichert oder geschaffen werden. Wenn der Senior-Nachfolger finanziell abgesichert und gesund den nächsten Lebensabschnitt genießen kann. Ist dann auch noch der Nachfolger mit seiner Entscheidung glücklich und kann die neuen Herausforderungen gut meistern, haben wir das Ziel erreicht und sehen uns in unserem Engagement für die Wirtschaft bestätigt.

Welche Ziele haben Sie als Netzwerk? 
Wir wollen auf jeden Fall noch öffentlichkeitswirksamer auf das Thema Nachfolge hinweisen. Wir wollen noch stärker sensibilisieren, informieren und uns als erster Ansprechpartner mit unseren Partnern im Land bekannter machen. Dafür starten wir im November 2022 eine neue Nachfolge-Kampagne, die über die Grenzen Sachsen-Anhalts hinaus wirken soll.

Zusätzlich arbeiten wir gerade am Aufbau eines Mentoren-Netzwerks, mit dem der Prozess der Übergabe noch besser gelingen soll. Außerdem kämpfen wir schon seit längerem für eine Unterstützung noch unerfahrener Unternehmer in der Anfangszeit der Übernahme. Hier schwebt uns ein vom Land finanziell geförderter „Nachfolge-Assistent“ vor, analog dem „Investitions-Assistenten“, den es im Land bereits gibt. Dieses Instrument hat sich gut bewährt, weshalb wir es auch im Bereich Nachfolge einführen möchten. 

Was wünschen Sie sich für das Thema Nachfolge in Sachsen-Anhalt?
Dass Nachfolge Chefsache wird – in Unternehmen, in den Kommunen und bei der Wirtschaftsförderung. Die Landesregierung, jeder Bürgermeister, jeder Landrat, sollte ein ureigenstes Interesse an erfolgreichen Unternehmen und damit auch Arbeitgebern und Steuerzahlern im Land, in der Region haben. Insofern müssen wir uns alle gemeinsam darum kümmern, dass Nachfolge gelingt, Kreditgeber eingeschlossen.

Über Antje Bauer

Antje Bauer ist Geschäftsführerin für den Bereich Starthilfe und Unternehmensförderung der Industrie- und Handelskammer Halle-Dessau und Sprecherin des Netzwerks Unternehmensnachfolge Sachsen-Anhalt (N:UN).