Spezialisiert hat sich Stefanie aber auch auf tiergestützte Interventionen mit Alpakas – das sind Fördermaßnahmen zur Burnout-Prävention oder zur Behandlung von Angststörungen und Depressionen. „Psychiatrie war immer schon mein Fachgebiet und es ist auch immer noch das, was mich am meisten interessiert“, sagt die gelernte Gesundheits- und Krankenpflegerin. „Ich habe lange in diesem Bereich gearbeitet. Am wichtigsten dabei war immer der Kontakt zu den Patienten.“ Doch der sei immer weiter in den Hintergrund getreten. Zu viel Schreibkram, zu wenig Zeit mit den Erkrankten gaben Stefanie in ihrem Job das Gefühl, den Menschen nicht so individuell helfen zu können, wie sie es gerne würde und wie es notwendig wäre.
Mit Sergio und Cesar fing alles an
Sie machte sich auf die Suche nach Alternativen und stieß auf die neugierigen und feinfühligen Alpakas mit ihrem direkten Blick und dem weichen Vlies. Stefanie fand Studien, die den Tieren Erfolge im Einsatz mit psychisch erkrankten Menschen bescheinigten. Um zu erklären, was dann passierte, benutzt die Gründerin häufig ein Sprichwort: Schaue einem Alpaka nie zu tief in die Augen, du wirst dich für immer verlieben.
Nichts anderes als Liebe auf den ersten Blick ist es, die Stefanie und Sergio bis heute verbindet. Mit dem weißen Alpaka-Hengst und seinem Halbbruder Cesar fing es 2013 an. Stefanie begann, die Tiere zu züchten. „Ich habe erst einmal unendlich viele Bücher gelesen und mich mit der Tierart auseinandergesetzt“, sagt Stefanie. Sie wollte sicher sein, dass sie alles weiß, alles passt und dass die Alpakas für ihr Vorhaben geeignet sind. „Die Tiere sind sehr sensibel, was Menschen mit Behinderungen angeht und reagieren auch im Umgang mit Kindern nicht so stur.“
„Ich arbeite an sieben Tagen in der Woche und komme dabei täglich locker auf zwölf Stunden. … Aber ich bin halt glücklich, das ist der Unterschied.“ — Stefanie Röll
Da Stefanie weiter ihrer Arbeit nachging und die finanziellen Mittel für einen Alleingang fehlten, unterstützten sie ihre Eltern beim Aufbau der Zucht. Gemeinsam gründeten sie eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts, damals noch in ihrem Heimatort Lodersleben. Nur ein Jahr später hatte das kleine Familienunternehmen schon 15 Tiere.
Den Gedanken, sich hauptberuflich selbstständig zu machen, hatte Stefanie lange nicht. Das habe sich später erst entwickelt. Ihr Ursprungsplan sah vor, vier bis fünf Alpakas zu trainieren und zu halten, um Patient*innen die tiergestützte Intervention anbieten zu können. Parallel zum Job und zur Familiengründung machte sie über zwei Jahre eine entsprechende Ausbildung an der Nordsee. Ihr zweites Kind war da erst wenige Monate alt. Dank ihrer Familie gelingt auch dieser Schritt. Einfach sei diese Zeit jedoch nicht gewesen.
Zum Ende der Ausbildung war sie an einem Punkt, an dem nichts mehr ging. Stefanie arbeitete zu der Zeit bei einem psychiatrischen Pflegedienst und musste feststellen, dass sich Beruf, Familie und das Nebengewerbe nicht länger verbinden ließen. „Da musste ich eine Entscheidung treffen“, sagt die Jung-Unternehmerin. Sie kündigte mit der Gewissheit, dass sie als Krankenschwester immer wieder eine Anstellung finden würde. „Da war ich arbeitslos und habe den Gründerzuschuss beantragt. Ich dachte bei mir, dann versuchst du es jetzt eben mit der Selbstständigkeit.“
Erlebnisgutscheine sorgen für Bekanntheit
Etwa zur gleichen Zeit entwickelte sich ein echter Hype um Alpakas. Als Stefanie Ende 2019 gründete, waren Wanderungen für Kindergeburtstage, Betriebsausflüge oder andere Events bereits Teil ihres Geschäftsmodells. Sie tastet sich langsam an das Thema heran. Bereitet sich und die Tiere auf das Wandern vor. „Ich bin mit einer Wanderung und maximal zwei Leuten gestartet. Am Anfang habe ich das sogar kostenlos gemacht, für die Tiere als Training.“
Ein Selbstläufer war ihr Start allerdings nicht. Erst als sie die Ausflüge mit den Sonnenschein Alpakas als Gutscheine auf Plattformen für außergewöhnliche Erlebnisse anbietet, steigt ihr Bekanntheitsgrad sprunghaft. Sogar aus Braunschweig kamen Menschen, um beim Waldspaziergang mit den Alpakas zu entspannen. Ein Wendepunkt. Zuvor glaubten nur sie selbst und ihre Eltern an einen Erfolg des Unternehmens.
Doch in einem Alltag, der für viele Menschen immer hektischer wird, steigt die Nachfrage nach den tierischen Ausflügen in die Natur, nach Momenten der Achtsamkeit, in denen Deadlines und Bildschirme keine Rolle spielen. Mit ihren Alpakas kann Stefanie diese Momente schaffen. Sie schaut bei jeder Wanderung ganz genau, welches Tier zu welchem Menschen passt. Es brauche Ruhe und Geduld am Anfang und am Ende der Leine. „Man merkt schnell, wenn die Leute sich wirklich die Zeit nehmen und sich auf ihr Alpaka einlassen, entspannt auch das Tier. Dann gehen die Ohren der Alpakas nach oben, die Menschen haben ein Lächeln im Gesicht und die Wanderung läuft von allein.“ Wenn das passiert, gehe ihr das Herz auf. Stefanie weiß, sie ist auf dem richtigen Weg, auch wenn Corona ihre positive Entwicklung ein paar Monate ausbremste.
Dank Gründungszuschuss durch den Lockdown
„Ich habe im Dezember 2019 gegründet und im März kam der Lockdown“, sagt Stefanie. „Da hatte ich ja kein Polster, nichts. Die Tiere brauchen aber trotzdem Heu, und wenn ein Tierarzt kommt, dann wird es immer teuer.“ In dieser Zeit ist der Gründungszuschuss der Agentur für Arbeit ihre Rettung. Ansonsten wäre es schnell schwierig geworden, sagt die Unternehmerin. „Ich bin nicht unbedingt ein Risiko-Mensch. Mein Mann und ich haben einen Notfallplan für den Fall, dass mein Gehalt mal ausfällt.“ Ihr ist es wichtig, ihre Ausgaben aus eigenen Mitteln zu bezahlen, ohne auf Kredite angewiesen zu sein.
Was sie verdient, investiert sie wieder, zum Beispiel in die tiergestützte Intervention. „Es ist eine Selbstzahlerleistung. Das ist das große Problem. Die Maßnahmen werden von den Kassen nicht übernommen“, sagt Stefanie. „Leben könnte ich von dem therapeutischen Teil nicht. Da müsste ich die Preise stark hochschrauben. Das kann sich keiner leisten.“ Viele Menschen, die zu ihr kommen, hätten meist schon mehrere Krankenhausaufenthalte und Therapien hinter sich. Sie seien meist nicht mehr in der Lage, arbeiten zu gehen und hätten kein Geld. Eine Kinder- und Jugendpsychiatrie übernehme die Kosten für drei Patient*innen. Das sei aber die Ausnahme. Um diese Arbeit zu ermöglichen, verteilt Stefanie um. Mit den Mehr-Einnahmen durch Betriebsausflüge und andere Events kann sie die Preise für die Therapien moderat gestalten.
In Saus und Braus lebe sie nicht seit der Selbstständigkeit. „Dafür bin ich auch nicht der Typ“, sagt die Unternehmerin. „Ich bin zufrieden hier zu Hause, wenn ich auf der Weide sitze und meinen Tieren zugucken kann.“ Ihre Tage sind lang und arbeitsreich. Kein Vergleich zum geregelten Schichtbetrieb im alten Job. „Ich arbeite an sieben Tagen in der Woche und komme dabei täglich locker auf zwölf Stunden. Nachmittags versuche ich, für die Kinder da zu sein. Sind die Jungs im Bett, geht es weiter. Aber ich bin halt glücklich, das ist der Unterschied.“
Personelle Unterstützung gesucht
Sieben Jahre nach Stefanies Start gibt es 25 Sonnenschein Alpakas, die mittlerweile in Zingst zu Hause sind, genau wie die Gründerin und ihre Familie. Die Hengste in der Herde sind auf einer Weide in Waldnähe untergebracht, mit Blick auf die Vitzenburg. Die Stuten haben ein ruhigeres Plätzchen im Ort, wo sie ihre Jungen ungestört aufziehen können. Für Stefanie ist es das Maximum. Mehr Tiere kann sie nicht versorgen.
Ihr nächster Meilenstein als Unternehmerin? „Ich möchte gerne jemanden einstellen“, sagt Stefanie. Der Stall müsse jeden Tag zweimal sauber gemacht, Heuballen müssten bewegt, Zäune gebaut werden. „Es ist teilweise eine körperlich schwere Arbeit. Ich suche ein Allroundtalent, das handwerklich begabt ist, aber auch die Betreuung eines Kindergeburtstags übernehmen kann.“ Und Stefanie sucht jemanden, dem sie ihre Tiere und ihre Kund*innen anvertrauen würde.
Vielleicht das wichtigste Kriterium und nicht leicht zu erfüllen. „Wenn du dir dein Unternehmen über viele Jahre aufgebaut hast und weißt, was dahinter steckt an Arbeit und Kraft, dann ist das gar nicht so einfach aus der Hand zu geben“, sagt Stefanie. Sie müsse das Gefühl haben, der- oder diejenige behandelt ihre Alpakas und Lamas so, wie sie es möchte. „Im Vordergrund steht immer das Wohl der Tiere! Das ist mir das Wichtigste. Nur, wenn es den Tieren gut geht und sie gerne mit Menschen arbeiten, können sie die Ruhe und Entspannung auf uns übertragen.“
Veröffentlicht am 20. Oktober 2021
Autorin: Anne Breitsprecher
Fotografin: Carolin Krekow