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Rittergut Etzdorf: Alte Räume, neue Wege

Theresa Hayessen bringt Leben in jahrhundertealte Mauern und öffnet Herrenhaus und Hof für Besucher*innen aus aller Welt – und für die Nachbarschaft. 

Etzdorf. Vom Horrorfilm bis zur Hochzeit vergehen auf dem Rittergut Etzdorf manchmal nur ein paar Tage. In den vergangenen Jahren hat sich der Ort in der Nähe von Halle (Saale) nicht nur unter Hochzeitspaaren, sondern auch unter Filmteams herumgesprochen. „Wir haben immer wieder Anfragen für Drehs und Fotoshootings verschiedenster Art und Genres“, sagt Theresa Hayessen, Managerin und Gründerin der Eventlocation. „Im Gegensatz zu den Brautpaaren interessieren sich die Filmleute selten für unseren Trausaal im Herrenhaus oder die Festscheune, sondern eher für den Keller, den Dachboden und die bröckelnde Fassade.“ 
 

Entstanden ist das Rittergut, wie es heute etwas abseits am Dorfrand steht, Mitte des 18. Jahrhunderts. Im Jahr 2017 zog Theresa mit ihrem Mann und ihrem ersten von mittlerweile drei Kindern in die historische Anlage. „Es ist ein uralter landwirtschaftlicher Familienbetrieb“, sagt die 35-Jährige. Während des Zweiten Weltkriegs und dann noch mal in der Nachkriegszeit wurden die Vorfahren der Hayessens enteignet. In der DDR nutzte die Uni Halle das Herrenhaus und die Gebäude des Hofs als Lehr- und Versuchsgut. „Mein Schwiegervater ist 1995 hergekommen und hat den landwirtschaftlichen Betrieb erst zurückgepachtet, dann zurückkaufen dürfen.“


Neuanfang auf dem Land

Es war klar, dass Theresa und ihr Mann Jürgen das vier Hektar große Anwesen und die dazugehörige Landwirtschaft übernehmen würden. Jürgen Hayessen, gelernter Bankkaufmann, kam nach Etzdorf, um die Landwirtschaft seiner Eltern weiterzuführen. Doch was seine Frau beruflich auf dem Land machen würde, blieb zunächst offen. Dass Theresa aus der Immobilienwirtschaft kommt und dort unter anderem Nutzungskonzepte für Gebäude entwickelt hat, kam ihr in Etzdorf zugute. Auf vielen anderen Ebenen hieß es jedoch: Alles auf Anfang! 

„Der Hof sah grundsätzlich gut aus, weil meine Schwiegereltern schon länger hier sind und vieles gemacht haben“, sagt Theresa. „Mein erstes Gefühl war trotzdem: Um Gottes Willen, was mache ich hier?“ Der Umzug von ihrer Lieblingsstadt Leipzig nach Etzdorf fiel schwer. Theresa kannte niemanden. Arbeit gab es genug für die ganze Familie, aber ohne berufliche Perspektive und eigenes Einkommen wurde das Ankommen für Theresa zur Herausforderung. In ihrem Kopf schwirrten Ideen. 


Erstversuch: Appartementvermietung

Sie selbst liebt das Übernachten in Airbnb-Wohnungen. An geeigneten Räumen für die Vermietung an Urlauber*innen und Besucher*innen mangelt es auf dem Gut mit 15 zum Teil ungenutzten Gebäuden nicht. Was an Mobiliar in den ehemaligen Mietwohnungen nicht schon vorhanden war, kaufte Theresa auf Flohmärkten und ließ es auf einen Versuch ankommen. Sie richtete ein Appartement her, räumte auf, gestaltete um und legte ein Profil auf der Vermittlungsplattform an. „Das war krass, es kamen einfach Menschen aus der ganzen Welt“, sagt sie. „Das funktionierte supergut. Erst da habe ich das Potenzial des Hofs für Ferien- und Gästewohnungen gesehen. Die Leute lieben es hier, die finden es schön.“ 

„Für mich ist es wichtig, etwas Eigenes zu haben. Ich möchte selbst Entscheidungen treffen können und die Ansprechpartnerin sein.“ — Theresa Hayessen

Hoffest bringt den Wendepunkt

Nicht nur Weitgereiste, auch Einheimische begeistern sich neu für das Rittergut. „Ich wollte die Leute hier kennenlernen, und die Leute sollten uns kennenlernen, deshalb habe ich nach unserer Ankunft ein Hoffest organisiert“, sagt Theresa. Eine Ankündigung in der lokalen Presse lockte nicht nur ganz Etzdorf und Menschen aus dem nahegelegenen Teutschenthal. Auch aus Halle, Leipzig und sogar aus Berlin folgte man der Einladung der Hayessens. „Es kamen 1300 Leute. Ich war völlig überwältigt. Damit hatten wir gar nicht gerechnet.“  

Die allgemeine Freude über die Öffnung war groß. Ungefragt boten im Anschluss nicht nur Freunde und Familie ihre Unterstützung bei neuen Events und Projekten an, sondern auch Menschen aus dem Nachbarort, die Theresa auf diese Weise erst kennenlernte. Ein Wendepunkt: „Da fing es an, dass ich diesen Ort richtig gerne hatte. Die Leute hier sind wirklich enorm nett und hilfsbereit.“

Selbstständigkeit macht unabhängig

Mit ihrer Gründung im Februar 2018 ging sie den letzten Schritt, um endgültig in Etzdorf Fuß zu fassen. Eine Idee aus dem Blauen heraus, denn ein Traum war die Selbstständigkeit nie. Theresa weiß die Sicherheit einer Anstellung und die Arbeit in einem Team zu schätzen. Das Gründen bot ihr jedoch die Chance, sich unabhängig von der Landwirtschaft ihres Mannes etwas aufzubauen und sich gleichzeitig auf dem Hof einzubringen. „Für mich ist es wichtig, etwas Eigenes zu haben. Ich möchte selbst Entscheidungen treffen können und die Ansprechpartnerin sein“, sagt Theresa. „Mein Mann macht die Landwirtschaft und ich kümmere mich um die Entwicklung der neuen Geschäftsfelder. Wir arbeiten trotzdem zusammen, aber jeder hat seinen Bereich. Das hat sich sehr bewährt.“ 

Das Kernthema für Theresas Unternehmen ergab sich fast von selbst: die optimale Nutzung des Ritterguts. „Um ehrlich zu sein, geht es finanziell auch gar nicht, dass wir diese ganzen Räumlichkeiten lassen, wie sie sind“, sagt die Gründerin. „Die Räume müssen dazu beitragen, diesen Hof hier zu erhalten.“ 


Angstgegner im Gründungskurs bezwungen

Eine Freundin empfahl ihr damals den Technologiepark Weinberg Campus und die Vorgründungskurse, die dort regelmäßig stattfinden. Theresa nahm es in diesem Seminar mit einem echten Angstgegner auf: dem Businessplan. „Ich hatte keine Ahnung, was das soll und wie man Einnahmen prognostiziert, wenn man noch gar nicht angefangen hat.“ Im Gründerkurs ego.-WISSEN habe man den Plan mit ihr vorbereitet. „Da habe ich die essenziellen Sachen gelernt. Von vielen Dingen wie dem Gründungszuschuss, den die Agentur für Arbeit mir im Anschluss gewährt hat, hatte ich vorher noch nicht gehört.“ 

Sie belegte auch den Folgekurs. Einmal die Woche lernte sie nach der Gründung weiter für ihr Unternehmen, erhielt für die Zeit sogar eine Ausgleichszahlung und profitierte von wichtigen Kontakten. Einige eröffneten ihr neue Nutzungsmöglichkeiten für das Rittergut. So mietete sich eine Mitgründerin mit ihrer Reitschule und ihrer Praxis für Pferdephysiotherapie in Etzdorf ein. Eine andere Unternehmerin regte dazu an, den ruhigen Ort für Seminare mit Führungskräften und Coachings anzubieten. 


Eine Lebensaufgabe für die ganze Familie

In Zukunft möchte Theresa noch stärker mit Firmen zusammenarbeiten. „Unternehmen können sich schon jetzt bei uns einmieten und auch übernachten“, sagt die Gründerin. „Sie können als Teambuilding-Event gemeinsam kochen oder den Park für Weiterbildungen nutzen. Das haben wir im kleinen Stil schon gehabt und das möchte ich professionalisieren.“ Auch Co-Working sei ein Thema für das Rittergut, aber erst im zweiten Schritt. Im ersten möchte Theresa für sich analysieren, was die Unternehmen wirklich brauchen und ob das Konzept zu ihrer Familie und ihrem Hof passt. „Wir sind ja schließlich trotzdem noch hier zu Hause. Alles braucht Zeit. Das habe ich gelernt: Nicht zu schnell.“ 

Dass das Gut eine Lebensaufgabe ist, braucht man Theresa nicht zu sagen. Renovierungsarbeiten sind an irgendeiner Stelle immer notwendig und dauern meist länger als gedacht. Feierabend? Fehlanzeige! Irgendwas haben sie und ihr Mann immer zu tun. „Ich weiß aber auch, wie viel Spaß das alles machen kann“, sagt die Unternehmerin. „Gerade in Corona-Zeiten war es schön, immer ein Projekt zu haben, das uns auf Trab hält.“ 

Beruf und Familie lassen sich auf dem Rittergut Etzdorf nie ganz trennen. Beim Rasenmähen oder Bepflanzen wird die nächste Generation spielerisch miteingebunden. Die Kinder können sich im Park und auf dem Hof austoben. Sind sie in der Kita, führt Theresa Besichtigungen mit Hochzeitspaaren oder Filmteams durch, setzt Verträge auf, organisiert Events oder die Jagdschule, die sie auf dem Rittergut ebenfalls betreibt. Ein Angestellter und ein Au-pair-Mädchen unterstützen die Geschäftsfrau bei der Arbeit und der Kinderbetreuung.

Theresa hat sich in das Rittergut, in das leicht Unfertige, die Ruhe und vor allem in das Potenzial dieses Ortes verliebt. Sieht man sie dort sitzen, im Park hinter dem Herrenhaus, bei Vogelgezwitscher, glaubt man ihr sofort, wenn sie sagt: „Wenn mir jetzt jemand sagen würde, wir könnten leider nicht hierbleiben, hätte ich ein echtes Problem.“

Veröffentlicht am 6. August 2021

Autorin: Anne Breitsprecher
Fotografin: Carolin Krekow