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Günters gedrechselte Holzkunst: Selbstständigkeit statt Ruhestand

Günter Rose gründet im Alter von 60 Jahren und hat sich noch einiges vorgenommen.

Langenweddingen. Es liegt gut in der Hand, das erste patentierte Design made by „Günters gedrechselte Holzkunst“. Jeder der eleganten Holz-Füllfederhalter aus der kleinen Werkstatt in Langenweddingen bei Sülzetal ist ein Einzelstück. Keiner von Günter Roses Schreibgeräten gleicht in Farbe und Maserung dem anderen. Ihre konkave Form und einmalige Gestaltung sind seit Juli 2020 durch das Deutsche Patent- und Markenamt geschützt. „Schon wieder ein freudiges Ereignis in meiner Firmengeschichte“, sagt Günter.

Zu den anderen Erfolgsmeldungen zählt er seine aktuellen Umsätze. „Wenn das so weiterläuft, schreibe ich bereits im nächsten Jahr schwarze Zahlen“, so der Existenzgründer. Keine schlechten Aussichten, gründete Günter sein Unternehmen doch erst im Oktober 2019 – und das im Alter von 60 Jahren.

Neue Perspektiven durch Wiedereingliederung

Der Rat eines Arztes brachte die beruflichen Veränderungen ins Rollen. Zwölf Jahre hat der Handwerker unter den Folgen von zwei Bandscheibenvorfällen gelitten, bis plötzlich gar nichts mehr ging. „Mein Doktor hat mir gesagt, er könne meine Wirbelsäule operieren oder ich bekomme Spritzen und Tabletten“, erinnert sich Günter. Er entschied sich 2018 für die OP und damit für ein schmerzfreies Leben. An eine Rückkehr zum Maschinenbau, in dem er seit über vier Jahrzehnten gearbeitet hatte, war danach allerdings nicht mehr zu denken.

Es folgten Termine bei der Rentenversicherung und eine Umschulung zum Altenbetreuer als Wiedereingliederungsmaßnahme. „Das hat mir sehr viel gegeben. Die Ausbildung und die Dozenten waren großartig. Ich habe vor allem viel über mich gelernt“, schwärmt er. „Mich um Menschen zu kümmern, hat mir Spaß gemacht. Aber ich hatte den Eindruck, dass das zum Teil gar nicht erwünscht ist. Es musste alles schnell gehen.“ Auch fehlten nach der Ausbildung die Jobs mit mehr als 15 oder 20 Wochenstunden, damit es zum Leben reicht.


Ostereier bringen das Geschäft ins Rollen

Das Drechseln begleitete Günter da schon seit vielen Jahren. Es war für ihn immer Zuverdienst und Ausgleich zum harten Job – vor der Wende im Schwermaschinenbau-Kombinat „Ernst Thälmann“ in Magdeburg und danach auf Montage in ganz Deutschland. In den 1980er-Jahren habe jeder zweite Schlosser privat eine Drechselbank gehabt, erzählt der umtriebige Handwerker. Erst faszinierte ihn die Maschine, dann das Drechseln, dann das Designen.

Mit Ostereiern ging es los. Tausende Exemplare verkaufte Günter zu DDR-Zeiten erst unter der Hand und dann offiziell im Nebengewerbe. Kerzenständer kamen dazu und zahlreiche andere Produkte wie die durchscheinenden Lampenschirme aus millimeterdünnem Holz. „Am Anfang geht es darum, eine Schale überhaupt erst einmal hinzukriegen. Du willst, dass sie schön aussieht. Wenn du das schaffst, probierst du verschiedene Formen und dann willst du immer schneller und besser werden.“

“Die Maschine, das Werkzeug und ich sind unschlagbar.” — Günter Rose

Schlüsselerlebnis im Praktikum

Was er macht, zeigte er einem Ergotherapeuten während seines Praktikums als Altenbetreuer. Ein Schlüsselerlebnis. „Er erkannte meine Leidenschaft und riet mir, doch einfach das zu machen, was mir wirklich Spaß macht. Da habe ich entschieden, dass ich mich selbstständig mache“, erinnert sich Günter. Eigentlich war das eine grobe Idee für den Ruhestand, aber dank des Zuspruchs hatte er plötzlich den nötigen Mut und das Selbstvertrauen. Er wollte wissen, ob seine Firma tragfähig wäre, und er wollte es wissen, bevor er 64 Jahre alt war.

Rückenwind und Förderung

Günter erzählte der Rentenkasse von seinen Plänen und erhielt unerwartet Rückenwind. Statt der befürchteten Sanktionen wurde seine Existenzgründung sogar gefördert. Schlaflose Nächte brachte dem kreativen Handwerker allerdings der Businessplan ein. Verunsichert, ob er alles richtig gemacht hatte, wandte er sich an die Industrie- und Handelskammer Magdeburg. „Da wurde mir gesagt, wenn ich Produkte verkaufen möchte, sei ich dort richtig, aber was das Drechseln angeht, müsse ich zur Handwerkskammer“, erinnert sich Günter an das Telefonat.

Mittlerweile ist er Mitglied in beiden Verbänden und auch als fliegender Händler gemeldet, um seine Produkte auf Märkten anbieten zu können. Der Businessplan bekam dank der Unterstützung durch die Handwerkskammer Magdeburg noch mehr Profil und die Expert*innen sahen für „Günters gedrechselte Holzkunst“ gute Aussichten auf Erfolg. Daher boten sie ihm gleich einen Stand als Kreativvorführer auf der Leipziger Handwerksmesse an.

Ein bisschen „Schwein“ hatte der Gründer zusätzlich. Vier Wochen nach seiner Gewerbeanmeldung wurde die Meisterpflicht für Drechsler wieder eingeführt. „Das wäre richtig teuer geworden“, schätzt der Unternehmer. Auf zusätzliche finanzielle Mittel sei er zum Glück nicht angewiesen gewesen. Die Werkstatt im heimischen Keller war aufgrund seines Nebengewerbes komplett ausgestattet, zahlreiche Produkte hatte er bereits gefertigt. So konnte er direkt loslegen. Auch von einer zweiten Stufe der Existenzgründerförderung konnte Günter profitieren.


Großes Kino mit 1600 Umdrehungen pro Minute

Erzählt er von seinem Weg, strahlt der 60-Jährige. Er wirkt angekommen. Wenn sich die Drechselbank mit 1600 Umdrehungen pro Minute dreht, er mit Meißeln und Eisen ein Stück Kirschholz oder Essigbaum bearbeitet und die Späne fliegen, dann nennt Günter das „großes Kino“ oder „zaubern“. „Die Maschine, das Werkzeug und ich sind unschlagbar und da glaube ich mittlerweile dran. Meiner Frau fiel das am Anfang noch ein wenig schwer, darum bin ich ihr sehr dankbar, dass sie mich trotzdem voll unterstützt hat. Gemeinsam ist so eine Firmengründung doch nur halb so schwer“, sagt er und lacht.

Für die Zukunft hat er sich viel vorgenommen. Der Drechsler möchte sich an besonderen Schalen probieren oder einen Westernhut aus Holz herstellen. Aktuell verkauft er seine Produkte regelmäßig auf dem Magdeburger Wochenmarkt und auf Anfrage. Dem Thema Online-Marketing will er sich in Zukunft stärker widmen, um auch diesen Vertriebsweg zu nutzen. „Ich bin noch lange nicht am Ende der Stange“, sagt Günter. So ist der Meistertitel für ihn ebenfalls nicht vom Werktisch. Er möchte seine Arbeit von einer Kommission der Handwerkskammer bewerten lassen und so den Meister erhalten. „Ich habe Ziele. Ohne eine Vision brauchst du gar nicht an die Startlinie zu gehen.“

Sein größter Traum, erklärt er mit einem Augenzwinkern: „Irgendwann soll ein Stück von mir im Metropolitan Museum of Art in New York zu sehen sein, dann habe ich ein erfolgreiches Leben gehabt.“

Veröffentlicht am 13. Oktober 2020

Autorin: Anne Breitsprecher
Fotografin: Carolin Krekow