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Sampochem: Gesundes Pulver für die Lebensmittelindustrie

Die Brüder Lucas und André Brendler von der Sampochem GmbH sagen konservierenden Zusatzstoffen den Kampf an – mit ganz natürlichen Mitteln. Ihre Gründungsgeschichte fängt in einer Küche in Dresden an und nimmt in einem Labor in Bitterfeld-Wolfen Fahrt auf.

Bitterfeld-Wolfen. Essigsäure als Zutat beim Backen – eine ätzende Idee? Ganz im Gegenteil, sagen André und Lucas Brendler, Gründer der Sampochem GmbH. „Essigsäure benutzt man schon seit der Antike zum Einlegen“, sagt André. Neben der konservierenden Wirkung gebe es noch mehr Vorteile. „Sie wird vom menschlichen Körper produziert und abgebaut.“ 

Natürliche Säuren wie Essig- oder Milchsäure könnten viele Zusatzstoffe in der Lebensmittelindustrie ersetzen und Produkte gesünder und haltbarer machen, sind die beiden Brüder überzeugt. Allein die flüssige Form und die zersetzende Wirkung machten den Einsatz in der Backstube oder der Fleischproduktion bisher gefährlich und kompliziert. Lucas und André haben daher eine Technologie entwickelt, die aus flüssiger Säure trockenes Pulver macht. 

Ein normales Brot ohne Zusatzstoffe halte fünf Tage. Mit Konservierungsstoffen erhöhe sich die Haltbarkeit auf zwei Wochen und mit natürlicher Säure beim Backen bleibe Brot 30 Tage locker und genießbar. „Je nach Anwendung kann das Trägerpulver, das die Säure aufnimmt, auch noch andere Funktionen übernehmen, zum Beispiel kann es auch das Volumen des Brotes erhöhen“, sagt André. In diesen Zusatzfunktionen und den vielen Kombinationsmöglichkeiten ihrer Produkte sahen die beiden einen so attraktiven Marktvorteil, dass sie mit der Idee im Herbst 2021 Sampochem gründeten


Chemie - vom Angstfach zur Berufung

Chemie war lange nur die Branche, in der ihre Eltern arbeiteten. Das Fach gehörte in der Schule nicht unbedingt zu ihren Favoriten auf dem Stundenplan. „Ich hatte damals regelrecht Angst vor Chemie“, sagt der 23-jährige André. „Aber wenn man Dinge im realen Leben ausprobieren kann, dann versteht man auch die Theorie dahinter und dann ist es eigentlich recht einfach.“ So einfach, dass sie irgendwann immer mehr lernen wollten. 

Die Naturwissenschaft entwickelte sich neben dem gemeinsamen Musikmachen zum Hobby. In ihrer Freizeit lasen die beiden die neuesten Forschungsberichte, belegten freiwillig Kurse und experimentierten in der heimischen Küche. Alles zunächst nur, weil es Spaß machte. Während André seine Kreativität bei der Entwicklung von neuen Produkten auslebte, faszinierte den ein Jahr älteren Lucas eher die chemische Industrie an sich. Praktisches Wissen eigneten sie sich auch als Werkstudenten in verschiedenen Chemie-Unternehmen an. 

Ihr erstes Versuchsobjekt: Kaffee. Sie schauten, wie sich der günstigere Robusta-Kaffee geschmacklich an die edlere Arabica-Bohne angleichen ließe. Bei einem weiteren Küchenprojekt suchten sie nach einem Weg, die Entstehung krebserregender Stoffe beim starken Erhitzen von Lebensmitteln zu vermeiden. Immer arbeiteten sich Lucas und André bei ihren Tests am gleichen Schema ab: Problem, Lösungsfindung, Marktanalyse. Doch keine ihrer Ideen hatte für sie so viel Potenzial wie die Umwandlung von Säuren in Pulver. 
 

"Unsere Ansprechpartnerin von der IHK hat sich einfach um alles gekümmert und so viele Kontakte hergestellt, dass es mit der Gründung superschnell ging." — André Brendler 

Um die Technologie unter Laborbedingungen zu testen, galt es, das Hobby zu professionalisieren. Monatelang suchten die zwei nach Räumlichkeiten mit einer geeigneten Infrastruktur. Zu der Zeit studierten André und Lucas noch Wirtschaftsingenieurwesen an der Technischen Universität in Dresden. „Der Machbarkeitsnachweis war da, wir mussten das Produkt nur weiter verbessern“, sagt André. 


Gründungsökosystem in Sachsen-Anhalt überzeugt

Nach verschiedenen Anläufen in Sachsen, Brandenburg und Berlin stießen die beiden auf das Technologie- und Gründerzentrum in Bitterfeld-Wolfen (TGZ). „Wir wurden hier sehr lieb empfangen“, sagt Lucas. „Uns wurde für den Anfang das Schülerlabor für unsere Tests angeboten – ganz unbürokratisch und unproblematisch.“ Schnell seien sie dem Geschäftsführer Steve Bruder vorgestellt worden. Ab da nahm das Vorhaben Fahrt auf.  

Sie bekamen Kontakte in den Chemiepark, zur lokalen Unternehmerschaft und zur Industrie- und Handelskammer Halle-Dessau, die direkt im TGZ eine Außenstelle hat. „Unsere Ansprechpartnerin von der IHK hat sich einfach um alles gekümmert und so viele Kontakte hergestellt – zu unserem Steuerberater, zur Bank –, dass es mit der Gründung superschnell ging“, so André.

Unterstützung gab es für Sampochem auch vom Technologiepark Weinberg Campus in Halle (Saale). Als Teil des Growth Accelerators, einem Programm für Startups im Wachstum, profitierten sie unter anderem von individuellen Coaching-Angeboten und relevanten Kontakten zu den Hochschulen. Am Innovationsstandort für Life Sciences, Biomedizin und Materialwissenschaften half man dem Startup-Team aber auch bei der erfolgreichen Beantragung des Gründungsstipendiums ego.-START.

Im Gegensatz zu Sachsen war es in Sachsen-Anhalt keine Bedingung, das geistige Eigentum hinter ihrer Technologie offenzulegen, um Fördermittel zu erhalten. Auch ist Sachsen-Anhalt als Chemiestandort bekannt, das alles sprach für einen Wechsel des Bundeslands. 


Freiheit ohne Wurzeln

Geboren sind Lucas und André in Bangkok als Kinder einer Finnin und eines Deutschen. Muttersprache: Englisch. Einen Großteil ihrer Kindheit verbrachten sie in Aschaffenburg in Bayern, und Auslandssemester führten sie nach China und Indien. „Das hat zur Folge, dass wir nicht unbedingt verwurzelt sind“, sagt Lucas. „Nur weil wir in Bayern aufgewachsen sind, mussten wir nicht in München oder Karlsruhe studieren, sondern wir sind einfach nach Dresden gegangen.“ Die Frage nach dem Warum hörten sie in ihrem Umfeld damals oft. Ihre Antwort: Weil es eine Exzellenz-Universität ist. Überhaupt sei die Infrastruktur im Osten oft besser, weil dort nach der Wende viel investiert wurde. 

Lucas und André sind ein gutes Team. Seit Kindertagen machen sie fast alles gemeinsam. Lucas extrovertierte und anpackende Art ergänzt André mit Zurückhaltung und gesunder Vorsicht. Beide sind zielstrebig, gründlich und denken langfristig. Die Exportnummern für ihre Produkte haben sie genau wie die Struktur einer künftigen Holding schon bei der Gründung mit angelegt. Was sie künftig an Umsätzen generieren, wollen sie über eine Muttergesellschaft wieder nachhaltig investieren und dafür steuerliche Vorteile nutzen. 


Lebensmittel sind erst der Anfang

Aktuell läuft das Patentverfahren für ihre Technologie und sie sind auf der Suche nach einem Unternehmen, das ihre Produkte in großen Mengen herstellen kann. Außerdem schauen sie in kleinen Bäckereien oder Fleischwarenbetrieben, wie die Produktion läuft und lernen in der Praxis, welche Anwendungsgebiete und Zielgruppen für sie infrage kommen. Dem Schülerlabor ist die Sampochem GmbH entwachsen. Im TGZ haben die Gründer ein eigenes Labor bezogen, in dem sie ihre Produkte in kleinem Maßstab herstellen und selbst Brot backen, um die Mischungen zu testen.

„Es gibt neben Lebensmitteln auch andere Branchen, die für uns interessant sind“, sagt Lucas. Pharmazeutika oder Kosmetik seien denkbar. Doch die Lebensmittelindustrie sei ein guter Anfang. „Es ist ein einfaches Feld, das sich leicht testen lässt. Jeder isst. Die Vertriebsstrukturen kennen wir aus unseren Praktika“, so André.


Sampo - die finnische Wundermaschine

Ihr Ziel: Sie wollen Brückenbauer sein zwischen dem handgefertigten Sauerteig von der Biobäckerei und industriell hergestelltem Brot. „Wir wollen Brot und Fleisch mit unseren Produkten in industriellen Maßstäben wettbewerbsfähig an den Markt bringen, ohne gesundheitliche oder ökologische Nachteile“, sagt Lucas. „Es geht uns um die breite Bevölkerung. Gesundheit darf kein Luxus sein.“

Da sie aber auch ehrliche Kaufleute sein wollen, beginnt die Akquise erst, wenn die Produktion steht und sie definitiv liefern können, was sie versprechen. Bis dahin heißt es: verhandeln und weiterlernen. Vom schnellen Geld träumen die Brüder nicht, auch wenn sie sich nach einer geschmiedeten Wundermaschine benannt haben, die laut einer finnischen Sage Reichtümer spuckt. „Für uns ist die Geschichte ein Sinnbild der Innovation“, sagt Lucas. „Sampo schafft etwas, das vorher nicht da war. Innovation und Technologie funktioniert genauso. Mehr mit weniger schaffen, das versuchen wir auch mit unseren Produkten.“

Veröffentlicht am 19. April 2022

Autorin: Anne Breitsprecher
Fotografin: Carolin Krekow