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Winzerbar: Der Weinberg ruft

Manuel Flechtner ist Winzer in fünfter Generation. In Almrich einem Ortsteil von Naumburg kreiert der 32-Jährige naturnahe Weine in kleinen Flaschen und sorgt für frische Aromen in der Region Saale-Unstrut.   

Naumburg (Almrich). Ob ein Wein-Jahrgang gut wird oder nicht, das weiß Manuel Flechtner erst, wenn er ihn erntet. „Voriges Jahr hatten wir extrem viel Regen, das sah anfangs Bombe aus“, sagt der Gründer des Weinguts Winzerbar. „Dann hat es aber in der Reifezeit weitergeregnet und das Ganze begann zu kippen. Weinanbau ist immer auch Nervenkitzel.“ 

Mit dem ersten Kaffee in der Hand lässt die Aufregung an einem Tag im Mai noch auf sich warten. Die Sonne scheint auf den Steilhang, wo Silvaner, Gutedel, Riesling, Weißburgunder und Dornfelder zu sprießen beginnen. „Die Arbeit im Weinberg fängt jetzt im Frühjahr an“, sagt Manuel. „Überschüssige Triebe werden ausgebrochen und bald kann man durch die Reihen gehen und die Reben durchfädeln.“ 

Wenn der 32-jährige Manuel nicht als einer von drei Kellermeistern die Produktion bei Rotkäppchen absichert, stellt er im Nebenerwerb unter seiner eigenen Marke naturnahe Weine her. Nullachtfünfzehn kommt dem Winzer nicht in seine 0,5-Liter-Flaschen. Genuss statt Masse und modernes Design mit Wiedererkennungseffekt, darauf legt der Unternehmer wert. „Ich möchte Wein gerade hier in der Region auch für jüngere Leute ansprechend gestalten und zeigen, dass Wein nichts Altmodisches ist“, sagt er. 


Aus Liebe zum Matschen

Alt sind auf Manuels Weinberg nur die Rebstöcke. Teilweise kommen die auf stolze 100 Jahre. Den ersten Gutedel pflanzte sein Ururgroßvater Wilhelm. „Die Wurzeln gehen richtig tief rein und kommen in Gesteinsschichten, wo sie besonders viele Minerale aufnehmen“, so der Winzer. Die daraus entstehenden Aromen und natürlichen Extrakte weiß Manuel zu nutzen. Er ist der Erste in seiner Familie, der den Wein nicht nur anbaut, sondern auch „matscht“.

„Es beginnt beim Traubenernten, geht über das Entrappen, also das Trennen der Trauben vom Stiel, bis hin zum Einmaischen“, sagt der Gründer. Die Produktion sei insgesamt sehr flüssig. „Schrumpelige Hände hast du als Weinküfer fast jedes Mal. Für mich ist das alles Matschen.“ 

Für die Ergebnisse dieses Prozesses hat Manuel schon Preise abgeräumt. Bereits mit seinem Gesellenstück, einem Blanc de Noir, holte Manuel Gold in der Gebietsweinprämierung und deutschlandweit Silber. Nicht die einzige Auszeichnung des Jungwinzers, der ganz bewusst auf Glyphosat verzichtet. Er lässt seinen Weinen Zeit und macht alles größtenteils von Hand, wie schon sein Opa Wolfgang. 

"Cool ist, dass du als Unternehmer immer Abwechslung hast und deinen Horizont erweiterst."
— Manuel Flechtner

Wann sich die Liebe zum Wein entwickelt hat, kann Manuel nicht genau sagen. Es gab nie den Moment. Klar ist: Sein Großvater spielte schon immer eine große Rolle. Er war es, der Manuel zu der Lehre bei der Winzervereinigung Freyburg riet. Von ihm bekam er 2011 den damals noch größtenteils verpachteten Weinberg.

Eine Selbstständigkeit war nach der Ausbildung zunächst nur ein vager Gedanke. Manuel fand bei Rotkäppchen einen Job mit Perspektive. Er machte im Unternehmen seinen Meister und entdeckte die Möglichkeiten seines Weinbergs neu. „Den Meister schließt man mit einem Meisterstück ab“, sagt Manuel. „Ich dachte: Wein kann ich machen und einen Weinberg habe ich auch. Warum also nicht Wein von eigenen Trauben?“

Vom benachbarten Weingut Hey bekam er die nötige Unterstützung für die Idee. Dort durfte er im Weinkeller matschen. Auch die Weichen für die Winzerbar stellte er in dieser Zeit. Mit einem Grafikdesigner entwickelte er das Corporate Design und er beantragte eine Amtliche Prüfungsnummer des zuständigen Amtes. „Das Amt testet die Qualität des Weines und ob er den Mindestanforderungen eines Saale-Unstrut-Weins entspricht“, sagt Manuel. „Das ist definiert. Typisch für die Region sind zum Beispiel eine prägnante Säure oder bestimmte Sorten.“ 


Meisterstück macht Lust auf mehr

Manuels Meisterstück erfüllte alle Kriterien. Sein trockener 2017er Silvaner überraschte mit einer Vielzahl an intensiven Aromen und lieblichem Geschmack. „Ich hatte 400 oder 500 Flaschen und die nächste Weinmeile stand an“, sagt Manuel. Zur traditionellen Weinwanderung an Saale und Unstrut, bei der die Winzer der Region zur Verkostung laden, bot er seinen Wein den Gästen an. „Das Feedback war grandios und der Wein innerhalb kürzester Zeit ausverkauft.“ Schaut er zurück, war das ein Auslöser, der Lust auf mehr machte. 

Er verlängerte die Pachtverträge für den Weinberg nicht und baute Schritt für Schritt seinen eigenen Weinkeller aus. Für die Gründung setzte er sich mit einer Steuerberaterin in Verbindung, die ihn unterstützte. Den Weg zum Unternehmer beschreibt Manuel als fließenden Prozess.

Unter der Bedingung, dass die Produktivität am Arbeitsplatz nicht leidet und er sich nicht zur Konkurrenz entwickelt, akzeptierte auch Rotkäppchen die unternehmerischen Aktivitäten ihres Kellermeisters. „Wenn ich die 250 Millionen Flaschen im Jahr knacke, wird man mich wahrscheinlich nicht mehr beschäftigen“, sagt der Gründer und lacht. Da das in absehbarer Zeit nicht zu erwarten ist, gibt ihm das Angestelltenverhältnis die nötige Sicherheit, um sich in der Winzerbar ausprobieren zu können. 

Allein wäre das jedoch nicht möglich. Ihm zur Seite steht Freundin Anika Laske. Die gelernte Physiotherapeutin ist seit 2021 Manuels erste Angestellte. Sie kümmert sich mit um die Pflege der Reben. Außerdem ist Anika für die Straußwirtschaft verantwortlich, also den saisonalen Gastbetrieb von Juli bis Oktober. Sie betreut die Ferienwohnung auf dem Hof und schaut nach den Weinen, wenn der Winzer bei der Schicht ist. 

Die Winzerbar hauptberuflich zu betreiben, ist das erklärte Ziel des Paares. Dafür braucht es allerdings mehr Fläche und mehr Zeit. „Als Faustformel gilt: Man braucht drei Hektar, um von einem Weinberg leben zu können. Mir fehlen also noch zweieinhalb“, sagt Manuel. Um nicht nur auf die eigene Ernte angewiesen zu sein, hat der Unternehmer drei Qualitätsstufen von Weinen eingeführt. 

Unter dem Label Winzerbar verwendet er ausschließlich das eigene Lesegut für die Produktion. Weine mit der Marke Weinbar können hingegen auch aus zugekauften und konventionell hergestellten Trauben aus der Region bestehen. Als Hobby bezeichnet er die Kostbar-Sorten. „Das sind ganz spezielle Sachen. Da kann ich mal richtig matschen“, so der Winzer. Aktuell habe er zum Beispiel einen Spontangärer in alten Tonkrügen, den er und Anika täglich überwachen und bearbeiten. Zu seinen neuesten Produkten gehört außerdem ein Tresterbrand, ein hochprozentiger Schnaps, den Manuel aus den Rückständen der Weinmaische destilliert.


Jungwinzer trifft Fernsehkoch

An Aufmerksamkeit für die Winzerbar mangelt es nicht. 2021 war der Gründer beliebter Interviewpartner. Bild und Mitteldeutsche Zeitung berichteten und sogar Fernseh- und Sternekoch Robin Pietsch stattete dem Jungwinzer gemeinsam mit dem MDR einen Besuch ab. Nach der Terminflut im vergangenen Jahr hofft Manuel nun auf ein bisschen mehr Ruhe. Er wolle sich noch mehr auf sein Metier konzentrieren. Der Spaß an der Selbstständigkeit sei bisher trotz Doppelbelastung nicht auf der Strecke geblieben. „Cool ist, dass du als Unternehmer immer Abwechslung hast und deinen Horizont erweiterst. Das macht auf jeden Fall Spaß.“ 

Opa Wolfgang hat die Entwicklung seines Enkels zum Unternehmer nicht mehr miterlebt. Er starb bereits 2012. Welche wichtige Lektion in Sachen Wein Manuel von ihm gelernt hat? „Es hieß früher, Kilos bringen die Mark und Oechsle – der Zuckergehalt des Mostes – bringen die Pfennige“, sagt Manuel. „Mein Opa hat immer gesagt: Wir machen weniger Wein, dafür in guter Qualität.“ Und noch ein Grundsatz seines Opas hat sich ihm eingeprägt: „Nur nicht so zimperlich sein.“

Veröffentlicht am 29. Juni 2022

Autorin: Anne Breitsprecher
Fotografin: Carolin Krekow