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Tierarztpraxis Abraham: Gründen mit den Eltern

Hat sich die Katze verletzt, ist der Hund krank, dann kümmert sich Monika Abraham. In Frose betreibt die 34-Jährige eine Praxis für Kleintiere und führt damit die Arbeit ihrer Eltern fort.

Frose. Montagmorgen in Frose, einem kleinen Ort zwischen Quedlinburg und Aschersleben. Ein Auto fährt ins Dorf, ein Traktor fährt raus – dann ist es bis auf das Zwitschern der Vögel erst mal ruhig. Auch in Monika Abrahams Tierarztpraxis in der Clara-Zetkin-Straße ist das große Wartezimmer noch leer. Zwei- und Vierbeiner haben hier viel Platz und einen schönen Blick in den grünen Hinterhof. An den Wänden hängen Fotos der Tiere aus dem Hause Abraham. Da wären die Minischweine Gisbert und Luise, die Katzen Rieke, Bruno, Frieda und Sally sowie zwei Pferde, Dia und Gerda. Die Sprechstunde ohne Termin beginnt an diesem Tag erst nachmittags. Zeit für OPs und Organisatorisches.

Gerade haben zwei Katzen die Kastration hinter sich, da geht ein Anruf ein: Es geht um eine Hündin mit einer Gebärmutterentzündung. Monika Abraham vereinbart einen Termin und schreibt ihn direkt nach dem Auflegen in ihr Handy. „Ein Online-Kalender, auf den meine Eltern und ich von überall zugreifen können“, sagt die 34-Jährige, während sie tippt. Das spare Papier und vor allem Zeit. 

Ihre Eltern, das sind Bärbel und Christian Zelfel. Die beiden Tierärzt*innen arbeiten für ihre Tochter, seit Monika die Praxis im Januar 2022 übernommen hat. Christian und Bärbel kamen 1986 mit dem Wunsch nach Frose, ihre Kinder nicht in Leipzig, sondern auf dem Land aufwachsen zu lassen. Arbeit gab es in der landwirtschaftlich geprägten Region genug, jedoch auch einen Haken. „Unser Vorgänger sagte uns damals, dass Frose zum Bergbau-Schutzgebiet gehöre und der Ort deshalb in drei bis vier Jahren wegkäme, weil man die Kohle brauche“, sagt Christian Zelfel. „Für uns waren es die ersten Stellen als Tierärzte. Langfristig haben wir zu der Zeit gar nicht gedacht. Das Grundstück hier war groß und wir hatten zwei kleine Kinder, also haben wir es gemacht.“ Monika wurde Kind Nummer drei und Frose steht noch immer.


Es kommt nicht nur aufs Streicheln an

Schon im Vorschulalter begleitete das Mädchen ihren Vater, der nach der Wende den Schritt in die Selbstständigkeit wagte, in die Ställe der umliegenden Dörfer. Während sich Christian Zelfel um die Großtiere wie Pferde, Rinder und Schweine kümmerte, baute sich seine Frau Bärbel in den 1990er-Jahren die Praxis für Kleintiere direkt am Haus der Familie auf. „Ich fand es immer spannend, mit meinem Vater durch die Region zu fahren“, sagt Monika. Besonders die Pferde hatten es der Reiterin angetan. „Und dass Mutti vor Ort gearbeitet hat und wir einfach in die Praxis gucken konnten, war auch cool.“ Der Grundstein der Übernahme war schon da gelegt. 

Ein anderer Berufswunsch kam für Monika nie infrage, auch wenn der Arbeitsalltag ihrer Eltern früh zeigte: Es kommt nicht nur aufs Streicheln an. Eine Lektion, die Monika auch außerhalb ihres Heimatortes lernte. Das Studium der Veterinärmedizin in Leipzig verlangte der damals 20-Jährigen viel ab. Gerade am Anfang stand vor allem jede Menge Theorie auf dem Lehrplan – zu viel, findet Monika mit dem Abstand von ein paar Jahren. „Das Arbeiten in einer eigenen Praxis und was alles neben der Versorgung der Tiere dazu gehört, war überhaupt kein Thema. Nicht mal in einem Wahlkurs.“ 

„Man soll so viel arbeiten, dass es einem Spaß macht und Zeit für die Familie bleibt.“ — Monika Abraham

Wie es ist, ein krankes Tier selbst zu behandeln und wie man eine Praxis führt, erfuhr die junge Tierärztin nach dem Studium im Team mit ihren Eltern und zusätzlich in einer Kleintierpraxis in Blankenburg. „Für mich war von vornherein klar, dass ich erst mal noch woanders arbeite, um eine gewisse Selbstständigkeit und auch ein Selbstbewusstsein zu entwickeln“, sagt Monika. Ohne die eigenen Erfahrungen würde man immer am Rockzipfel der Eltern hängen. In der Zeit wurde Monika selbst zum ersten Mal Mutter und übernahm im Anschluss auch die Leitung einer Praxis in Blankenburg. Druck aus Frose gab es nie.


Verhältnis zu Haustieren im Wandel

Im Skiurlaub 2018 reifte der Plan für die Übernahme heran. „Mein Mann und ich hatten da die Idee, die Praxis meiner Eltern zu vergrößern“, sagt Monika. Bis zu diesem Zeitpunkt war die Praxis direkt am Wohnhaus der Zelfels. Doch durch die Corona-Pandemie war nicht nur mehr Abstand geboten, die Tierärzt*innen aus Frose beobachteten auch einen erhöhten Bedarf

Während große Tiere und landwirtschaftliche Viehbetriebe schon seit Beginn der 2000er in der Region kaum noch eine Rolle spielen, leisten sich immer mehr Menschen ein Haustier. „Früher hatte man Wachhunde, die auf Haus und Hof aufpassten“, sagt Monika. Doch das Verhältnis zu Hund und Katze habe sich verändert. „Heute sorgen sich die Halter stärker um die Tiere, die für viele zu Familienmitgliedern geworden sind.“ Was auch bedeute, dass sie häufiger zu Arzt oder Ärztin gehen, als das vielleicht früher der Fall gewesen wäre. Hinzu kommt: Viele moderne Hunde- und Katzenrassen sind geplagt von Hautproblemen und Allergien und bedürfen einer regelmäßigen Behandlung. 


Neues Haus für moderne Praxis

Das richtige Haus für ihre Vision einer modernen Kleintierpraxis fand Monika in Frose etwa 200 Meter Luftlinie vom eigenen Heim. 2019 unterschrieben sie und ihr Mann Jens, der an der Uni in Halle (Saale) arbeitet, den Kaufvertrag und mit der Unterstützung durch einen Architekten starteten die Kernsanierung und der Anbau. „Mein Mann, unsere Freunde und Familie waren mit dabei. Wir hatten Hilfe von allen Seiten, sonst hätten wir das nicht geschafft“, sagt die Gründerin. Monika selbst war erneut schwanger. Eine aufregende Zeit. Zum Stress mit dem Haus kam der Respekt vor der Übergabe. Ihre Familie gab ihr auch in dieser Phase den nötigen Halt. 

Während Bärbel Zelfel die Sprechstunden in der neuen Praxis übernahm und ihr Mann Christian die Hausbesuche bei den verbliebenen Großtieren, kümmerte sich Monika in ihrer Elternzeit um Ausstattungs- und Anschaffungsfragen. „Ich musste erst mal recht viel Bürokratie erledigen. Die Ummeldung der Praxis beim Finanzamt, bei der Tierärztekammer“, zählt sie auf. „Wir brauchten einen neuen Telefonvertrag, einen neuen Computer, Updates für das Praxis-Programm, Visitenkarten, Stempel, Arbeitskleidung – alles. Das sind vielleicht kleine Hürden, aber ich war heilfroh, dass meine Eltern den laufenden Betrieb geschmissen haben.“ 


Neue Rollenverteilung

Den betriebswirtschaftlichen Part brachte Christian Zelfel seiner Tochter bei und in steuerlichen Fragen unterstützte der Steuerberater der Familie. Da es sich bei Tierarzt und Tierärztin um einen freien Beruf handelt, hielten sich die Formalitäten im Vergleich zu anderen Gründungen in Grenzen. So war keine Gewerbeanmeldung oder die Wahl einer bestimmten Rechtsform notwendig. 

Dass sie nun die Chefin ist, fühlt sich für Monika noch etwas ungewohnt an. „Das ist erst mal eine krasse neue Aufgabe“, sagt die Gründerin. „Wir machen ja alles selbst: Wir putzen, wir bereiten die OPs vor und nach und erledigen die Büroarbeit von der Medikamentenbestellung bis zu den Laborauswertungen. Da ist sehr viel, was man vielleicht von außen gar nicht so sieht.“ 

Noch ist sie nicht allein in der Praxis. Ihre Mutter geht 2023 in Rente. Für ihren Vater beginnt der Ruhestand jedoch bereits im Spätsommer 2022. Der Abschied fällt dem 65-Jährigen nicht schwer. „Ich bin jetzt schon hauptberuflich Opa, Hausmeister und Organisator“, sagt Christian Zelfel. „Ich freue mich eher auf die Zeit danach.“ Da soll es dann mit dem Wohnmobil auf Reisen gehen. Was er seiner Tochter und der Praxis wünscht? „Dass sie das alles unter einen Hut bringt – Familie und Beruf. Die Praxis zu managen, ist eigentlich ein Fulltime-Job. Perspektivisch wäre es gut, wenn sie vielleicht noch einen Mitarbeiter oder eine Mitarbeiterin findet.“ 


Fortsetzung folgt?

Wenn Monika zur Sprechstunde fährt, nimmt sie gern das Fahrrad, auch wenn sie nur drei Minuten über die Dorfstraße rollt. Ein großer Vorteil der Selbstständigkeit ist für sie die Freiheit, sich den Tag selbst strukturieren zu können. Ginge es nach ihr, könnte die Praxis einfach so weiterlaufen wie bisher. „Es ist ein lebhafter Beruf“, sagt Monika. „Man lernt dabei nie aus, egal wie alt man ist. Es gibt auch oft Situationen, die meine Eltern noch nie in ihrem Leben hatten.“ Wie die Katze, die zu tief in ein Glas geschaut hatte und daraus mit Öl befreit werden musste. 

Was sie von ihren Eltern für die Selbstständigkeit mitnimmt: „Man soll so viel arbeiten, dass es einem Spaß macht und Zeit für die Familie bleibt.“ Auch Monikas Tochter Marie schaut regelmäßig in der Tierarztpraxis vorbei. Ob sich die Familiengeschichte fortsetzt? „Das Interesse ist da, alles andere wird man sehen. Zurzeit ist der große Traumberuf allerdings Krankenschwester.“  

Veröffentlicht am 22. Juni 2022

Autorin: Anne Breitsprecher
Fotografin: Carolin Krekow