Du bist nicht allein.

HIER. inspirieren dich andere.

Stilprojekt GmbH: Vision für das digitale Handwerk

Malermeister Christoph Baum wollte mit einer App die Organisation von Baustellen automatisieren. Warum es anders kam.

Wernigerode. Die Digitalisierung schreitet unaufhörlich voran. Kaum ein Bereich im Leben, für den es keine smarte Lösung gibt. Doch noch lässt sich eine analoge Wand nicht mit Bits und Bytes streichen und ein Fußboden nicht digital im Raum verlegen.

Ein Glück für Malermeister Christoph Baum: Für seine persönliche Entwicklung sei die Mischung aus körperlicher Anstrengung und kreativer Kopfarbeit das Beste gewesen, ist der Malermeister aus Wernigerode überzeugt. Bereits in der sechsten Klasse war für Christoph klar, dass er mal Maler und Lackierer werden und die Familientradition fortführen würde. Die Ferien verbrachte er freiwillig auf Baustellen an der Seite seines Vaters.

Neustart unter etabliertem Namen

Er war ehrgeizig: Nach der Ausbildung machte er 2010 seinen Meister, um „das höchste Ziel im Handwerk“ zu erreichen. „Der Malerbetrieb war für mich immer ein cooles Standbein“, sagt der 37-Jährige. „Das hat guten Grund und Boden und darauf lässt sich vieles aufbauen, was sich glücklicherweise auch ergeben hat.“

Statt die Nachfolge im Unternehmen seines Vaters anzutreten, startete Christoph unter eigener Flagge, aber mit dem etablierten Familiennamen. Einfach so für sich und für die Moral, wie er sagt. Er profitierte dabei am Anfang vom Gründungszuschuss der Agentur für Arbeit. Alles lief zunächst gut, doch nach einem erfolgreichen ersten Jahr folgte der „Crash“: Ein Baustellenkunde zahlte nicht. Plötzlich fehlte eine fünfstellige Summe in der Kasse. Rücklagen, um den Verlust auszugleichen, hatte er nicht. Das ist Alltag für Handwerksbetriebe. Für viele werden Situationen wie diese zum Fallstrick.


Statt Pleite mehr System

Auch Christoph stand kurz vor der Pleite. Doch statt aufzugeben, holte er sich Hilfe von einem Unternehmenscoach. Er setzte sich mit seiner Strategie auseinander, beschäftigte sich mit dem Management seiner Firma, den Mitarbeiter*innen und Finanzen. „Das war so ein krasser Augenöffner“, erinnert sich der Handwerker. „Ich musste erst einmal verstehen, was ich alles falsch mache. Ich wusste plötzlich, dass ich mir Strukturen und Systeme bauen muss, um meinen Laden wieder auf Vordermann zu bringen.“

Er schloss sich drei Tage im Büro ein und versuchte herauszufinden, wo er den meisten Aufwand hat, die meiste Zeit investiert und warum er immer erst nach 21 Uhr zu Hause ist. Danach war das Team gefragt. In einem sechsstündigen Meeting sammelte Christoph die Kritik und Wünsche seiner Leute. Heraus kam eine lange Liste mit konstruktiven Verbesserungsvorschlägen.

„Kommunikation im Team und mit den Kunden war ein riesiges Thema, genauso die Organisation des Lagers und Abnahmen“, zählt der Jung-Unternehmer auf. „Wir hatten nie Probleme mit Mängeln, aber wir haben auch nie Abnahmeprotokolle geschrieben. Wenn ein Kunde nach einem halben Jahr Mängel gemeldet hätte, hätten wir nicht reagieren können. Das war ein Risiko.“


Mit Checklisten zum Erfolg

Daraufhin entwickelte er ein Mappensystem mit Checklisten zum Abarbeiten. Eine Reihe von Fragen leitete Christophs Team durch die Baustellen. Ein Blick in die Mappe und alle Mitarbeitenden waren auskunftsfähig gegenüber den Kund*innen und wussten, was es noch zu tun gibt. An besonders stressigen Tagen hatte Christoph täglich um die hundert Anrufe. Nachdem er das Verfahren mit den Mappen eingeführt hatte, klingelte das Telefon deutlich seltener.

Er verschlankte weitere Prozesse, übergab Aufgaben an die Kolleg*innen und zahlte eine kleine Provision für erfolgreich akquirierte Folgeaufträge. „Insgesamt 20 Prozent des Umsatzes, den wir mit dem Malerbetrieb machen, kommt mittlerweile von meinen Mitarbeitern“, sagt Christoph. „Sie haben Spaß am Verkaufen. In dem Moment, als meine Mitarbeiter mehr Verantwortung bekommen haben, stieg auch die Motivation.“


Automatisierung als Chance

Auch bei der Bezahlung ging er neue Wege. Statt immer auf die Abschlussrechnung zu warten, teilte er die Forderungen auf. Pauschalabschläge sorgten für kontinuierliche Einnahmen und führten zu einer linearen Kurve auf dem Konto. Christophs Erfolgsformel seither: Schaffe dir Strukturen und du hast selbst nur die Hälfte an Arbeit.

Seine freie Zeit nutzt er schon immer, um neue Ideen zu entwickeln. Durch die Einführung seines Online-Shops für Kinder- und Jugend-Tapeten stellte er fest, wie viele Prozesse sich automatisieren lassen. Auf den Baustellen sprach sich der Erfolg seines analogen Mappensystems herum. Nach dem zehnten Unternehmer, der ihn um eine Vorlage bat, erkannte Christoph das Potenzial für eine neue Geschäftsidee.

In Online-Coachings schulte der Unternehmer kurzerhand andere Handwerker*innen, ihre Firmen ebenfalls einem Strukturwandel zu unterziehen. Seine praxisnahe Beratung überzeugte und brachte Umsätze für seine eigens gegründete Marketingfirma. Doch da dachte der umtriebige Geschäftsmann schon längst an eine digitale Lösung für sein System.

„Der Malerbetrieb war für mich immer ein cooles Standbein. Das hat guten Grund und Boden und darauf lässt sich vieles aufbauen.“ — Christoph Baum

Startup mit Vorerfahrung

Weil er keine fand, entwickelte er gemeinsam mit Partner*innen für Marketing und Programmierung die App Novus GO. „Wir waren zu 60 Prozent mit dem Programmieren fertig, da trat die neue Datenschutz-Grundverordnung in Kraft“, erinnert sich Christoph. „Weil wir auf einer Google-Plattform gearbeitet hatten und das nicht konform war mit der DSGVO, mussten wir komplett von vorne anfangen. Für uns war es ein Startschuss mit Vorerfahrung“, sagt er und lacht.

Die Venture-Capital-Gesellschaft bmp signalisierte Interesse an dem Vorhaben und stellte 350.000 Euro im Rahmen des Startup-Gladiator-Programms in Aussicht. Überwiesen wurde das Geld, nachdem das Handwerker-Startup mit seiner Projektidee auch die ibg Beteiligungsgesellschaft Sachsen-Anhalt überzeugt hatte. Mit Abschluss des Investments ging es für Novus GO richtig los. Christoph Baum und sein Partner Björn Teßmann stellten Mitarbeiter*innen für Vermarktung, Vertrieb und Administration ein, die Programmierung lief auf Hochtouren. Baustellen sollten in Zukunft mithilfe von Novus GO automatisiert geplant, strukturierter abgearbeitet und dokumentiert werden können, so das Ziel.


Vision wird zum „Genickbruch“

„Das war der Genickbruch“, gesteht Christoph. „Die App war auf eine voll automatisierte Struktur ausgelegt. Dafür musst du ein dickes Fundament schaffen. Nach einem halben Jahr haben wir gemerkt, dass es eng wird.“ Die bittere Erkenntnis: Investition und Team reichten nicht, um das ehrgeizige Projekt erfolgreich umzusetzen. Bei der Entwicklungszeit hatte man sich deutlich verschätzt. Es bestand akuter Handlungsbedarf.

Das Novus GO-Team führte zahlreiche Gespräche mit Investor*innen, während das Geld immer knapper wurde. Auch privates Vermögen investierten Christoph und sein Partner in ihre Idee. Doch alle Rettungsversuche halfen nichts. Im Dezember 2019 war nach zweieinhalb Jahren das Ende von Novus GO besiegelt. Nur wenige Monate später wurde das dahinterstehende Unternehmen Novus Work System GmbH auf Empfehlung des Insolvenzverwalters liquidiert und abgewickelt „Ich glaube, ich habe ein riesiges Selbstvertrauen“, sagt Christoph. „Aber da war es mal angekratzt, muss ich sagen. An Motivation und Überzeugung hat es mir nie gefehlt, aber es war einfach zu viel.“


Alles aus einer Hand

Der zweifache Familienvater nahm sich eine kleine Auszeit. Strich gemeinsam mit den beiden Söhnen das heimische Wohnzimmer und sortierte sich bei der „Gaudi“. Doch lange untätig zu sein, liegt dem Vollblutunternehmer nicht. Nachdem er in der Novus-GO-Zeit einen Teil der Aufgaben an einen Vorarbeiter abgegeben hatte, stürzte er sich wieder voll in seinen Handwerksbetrieb, die Stilprojekt GmbH.

Mittlerweile bietet das Unternehmen weit mehr als Malerarbeiten. „Wir machen Büro- und Objekteinrichtung mit angeschlossener Handwerksdienstleistung“, sagt Christoph. „Die Kunden finden es megacool, dass alles aus einer Hand kommt.“ Der Fantasie sind dabei keine Grenzen gesetzt. Ob er Bangkok im Wartezimmer eines Zahnarztes entstehen lässt oder ein ganzheitliches Design-Konzept für eine Friseurkette entwirft – Christoph geht genau auf die Kundenwünsche ein und setzt sie mit Kooperationspartner*innen und seiner bewährten Struktur erfolgreich um.


Digitales Potenzial im Handwerk

Nach zwei Monaten hatte sich Christoph wieder voll eingearbeitet, alles lief – und dann kam Corona. Von schwacher Auftragslage war auf den Baustellen jedoch keine Spur. Seine eigene Firma managt er nach wie vor nach dem Novus-GO-System. Das verschafft ihm Zeit für neue Ideen, von denen es einige gibt. „Wir werden mit der Struktur auch weiterhin jede Menge Geld sparen beziehungsweise verdienen“, ist sich der Unternehmer sicher. Für ihn ist Novus GO noch längst nicht in der Schublade verschwunden. Eine Digitalisierung im Handwerk sei an vielen Stellen verschlafen worden, insbesondere im Weiterbildungsangebot. Doch das Potenzial sei riesengroß. „Am Ende hat uns das Quäntchen Glück gefehlt. Aber man weiß nie, wozu das gut ist.“

Veröffentlicht am 13. Oktober 2020

Autorin: Anne Breitsprecher
Fotografin: Carolin Krekow