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Maywood Media: Filme und Ideen mit 360-Grad-Blick

Roxana Hennig tauschte den Job in einem Konzern gegen ihre Liebe zum Film und ein Virtual-Reality-Projekt, mit dem sie Senior*innen unterstützen will.

Magdeburg. Roxana Hennig fühlt sich zu schweren Themen hingezogen. Gerade hat die 35-Jährige aus Magdeburg ihren ersten Dokumentarfilm für den MDR veröffentlicht: „Demenz: Der lange Abschied“. Dafür begleiteten die Filmemacherin und ihr Team zwei Töchter und ihre an Demenz erkrankten Mütter ein Jahr lang.

„Demenz an sich ist ein Riesenthema“, sagt Roxana. „Und meistens sind es die Frauen, die Töchter, die denken, sie müssen die Pflege neben allem anderen auch noch hinbekommen.“ Für die Gründerin von Maywood Media ist das auch eine Frage des gesellschaftlichen Drucks. Nur ein Aspekt von vielen, auf den ihr Film den Fokus legt. Nach der ersten öffentlichen Vorführung im April in Leipzig gab es daher vor allem eins: Redebedarf. 

„Am Ende des Films sahen einige Menschen im Publikum sehr ergriffen aus“, sagt die Unternehmerin. Sie wolle berühren und Aufmerksamkeit für Demenz und den Umgang damit generieren. „Der Film ermuntert zum Erzählen der eigenen Geschichte. Nach der Vorführung in Leipzig haben sich viele Menschen noch lange unterhalten. Man hat einfach gemerkt, dass dieser Bedarf zum Reden bei den Betroffenen da ist.“


Von London nach Magdeburg

Roxanas Weg in die Filmbranche begann in einem Hilton-Hotel in London. Dort absolvierte sie nach ihrem Tourismus-Management-Studium ein Trainee-Programm und stellte fest, dass das Konzern-Korsett nicht zu ihr passte. „Es war ein sehr einseitiges operatives Geschäft mit wenig Handlungsspielraum und zudem gab es Standards für die Größe der Ohrringe oder die Höhe der Absätze“, sagt Roxana. „Ich habe damals gemerkt: Das ist mir viel zu eng, viel zu anstrengend und nicht kreativ genug.“

Die Liebe zum Film war da längst Teil ihres Lebens. Sie habe schon immer ein bisschen nach Babelsberg geschielt, doch Produktion direkt nach dem Abitur zu studieren, ist eher unüblich und entspricht nicht der Philosophie der Filmschulen. Begründung: Es brauche dafür mehr Erfahrung. Nach Bachelor, Master und Management-Schule wechselte sie 2013 zur London Film Academy und befreite sich vom „Mach lieber was Vernünftiges“-Gedanken.

Zur Selbstständigkeit gab es ab diesem Zeitpunkt für Roxana keine Alternative mehr. Sie wollte ihre eigene Chefin sein, Filme machen, und das in Sachsen-Anhalt. „In London zu gründen, das wäre mir doch zu risikoreich gewesen, in einem anderen Land ohne feste Einnahmen, dazu bei den Londoner Mietpreisen“, sagt die Unternehmerin. „Wenn man die Selbstständigkeit schon wagt, dann nicht ohne familiären Rückhalt.“ Seit sie selbst Mutter ist, weiß sie es noch mehr zu schätzen, dass ihre Eltern zumindest im gleichen Bundesland leben. Ein Risiko sei ihre Gründung trotzdem gewesen. 


Mitnehmen, was geht

Roxana startete 2014 als Einzelunternehmerin in Magdeburg – ohne großes Startkapital oder Sicherheiten und bot ihre Dienste zunächst für Werbevideos an. „Ich habe ziemlich schnell die ganzen Angebote in Anspruch genommen, die es hier gab“, sagt Roxana. Ob Gründertage bei der IHK, Frauen-Business-Frühstück oder Gründungskurse mit Themen wie Marketing, Zeitmanagement und Co. – die Jungunternehmerin war dabei, um zu lernen und sich zu vernetzen. „Die Gründer-Angebote nur für Frauen waren dabei besonders angenehm, weil man offen sprechen konnte – zum Beispiel über die Frage, warum so wenige Frauen gründen und was man dagegen tun kann.“ 

Die Infrastruktur in Sachsen-Anhalt sei für ihre Gründung einfach gut gewesen und Magdeburg als Medienstandort noch nicht so überfüllt wie Leipzig oder Berlin. In der Masse untergehen? An der Elbe kein Thema. Weitere Pluspunkte für die Gründerin: „Hier leben wirklich ganz brillante Menschen aus der Medienbranche und ich fühle mich in Magdeburg zu Hause.“

„Hier leben wirklich ganz brillante Menschen aus der Medienbranche und ich fühle mich in Magdeburg zu Hause.“ — Roxana Hennig

Um gegenüber Auftraggeber*innen noch stärker auftreten zu können und das Image als Einzelkämpferin abzulegen, gründete sie 2019 die Maywood Media GmbH. Sie erweiterte ihr Team um zwei Festangestellte und baute ihr Netzwerk aus Freiberufler*innen kontinuierlich aus. Das Medienproduktionsunternehmen zählte seither unter anderem das Ministerium für Inneres in Sachsen-Anhalt zu ihren Kund*innen. Für die Polizei Sachsen-Anhalt verantworteten Roxana und ihr Team 2021 eine Image-Kampagne. Neben Werbeaufträgen forciert die Unternehmerin auch eigene Projekte. 


Förderung ermöglicht Herzensprojekt

Für mediale Aufmerksamkeit sorgte sie mit Remmy VR, einer Virtual-Reality-Lösung für Menschen, die aufgrund einer Erkrankung wie Alzheimer oder Demenz nicht mehr reisen können. Mithilfe einer VR-Brille, auf der 360-Grad-Filme abgespielt werden, ist der Ausflug an die Ostsee, nach New York oder der Stadtspaziergang durch Magdeburg sicher vom Sofa aus möglich. Für Roxana ist das Projekt eine Herzensangelegenheit, zu der sie ihre Oma inspirierte. Aus eigener Kraft hätte die Unternehmerin die Umsetzung jedoch nicht stemmen können.

„Wir haben für Remmy VR das Förderprogramm Cross Innovation der Investitionsbank Sachsen-Anhalt in Anspruch genommen, sonst wäre schon die Programmierung der App nicht möglich gewesen“, sagt Roxana. „Das war eine Chance, einfach mal was zum Leben zu erwecken.“ Von der Idee bis zum Film auf der Brille war es ein weiter Weg und viel komplizierter als am Anfang gedacht.

Die größten Baustellen: riesige Datenraten, Bildpunkte und andere technische Details, die wichtig sind, damit sich 360-Grad-Filme angenehm schauen lassen. Für die Programmierung waren die Expert*innen für 3D-Visualiserung und Animation von Visualimpression aus Magdeburg verantwortlich, für immer neue Filme zwischen Entspannung und Abwechslung sorgen Maywood Media sowie ein Netzwerk aus Kameraleuten auf der ganzen Welt.


Remmy VR erobert Seniorenheime

Insgesamt zwei Jahre Arbeit und jede Menge Input von Medien- und Pflege-Expert*innen später erobern die Brillen Schritt für Schritt die Seniorenheime in Deutschland. „Wir wussten am Anfang nicht, ob die Senioren bereit sind, die Brille auszuprobieren“, sagt Roxana. „Aber da gab es eigentlich noch nie Probleme. Die Neugier war zum Glück immer stärker.“

Angst gegenüber der neuen Technik oder Skepsis gebe es manchmal beim Pflegepersonal. Um diese abzubauen, hat die Unternehmerin eine Support-Hotline eingestellt. Doch eigentlich sei die Anwendung nicht kompliziert: Knopf an, Brille auf und los geht es. Wichtig ist Roxana auch, dass es sich bei Remmy VR weder um Berieselung noch um ein Medizin-Produkt handelt. „Es ist eine Aktivierungsmöglichkeit, die kein Gespräch ersetzt. Zu sehen, dass Remmy VR funktioniert, wie ich es mir erhofft habe, ist jedes Mal schön.“ 

Aufgrund ihrer lösungsorientierten Pionierarbeit in Sachen virtueller Realität war Roxana 2021 eine von 32 Kultur- und Kreativpilot*innen. Bei dem bundesweiten Wettbewerb stach die Gründerin mit ihrer Idee aus über 700 Bewerbungen heraus. Sie profitierte von Media-Reichweite, einem Mentoring-Programm und Workshops.

„Es ist nicht so, dass man einfach einen Preis bekommt und dann ist die Sache erledigt. Man muss auch was reinstecken. Vor allem Zeit“, sagt Roxana. „Für uns ist es auf jeden Fall das Richtige gewesen.“ Die Unternehmerin war außerdem Teil des Programms MEDIAstart, mit dem die Mitteldeutsche Medienförderung junge Unternehmen der Branche unterstützt. 2021 gehörte sie zudem zu den Finalist*innen der landesweiten Bestform Awards. 


Weiterentwicklung im Fokus

„2021 war ein sehr bereicherndes Jahr“, sagt Roxana. „Ich habe mehr als jemals zuvor am Unternehmen gearbeitet, mich als Unternehmerin weiterentwickelt und viele neue Kontakte geknüpft. Das war ein guter Start nach der Elternzeit.“ Eine wichtige Lektion, die sie in der Phase gelernt hat? „Ich weiß um meine eigene Leistung besser Bescheid und kann sie jetzt auch gut anbieten und verkaufen.“ 

Aktuell steht für Roxana und ihr Team neben Aufträgen für Kund*innen die Produktion neuer Filme für Remmy VR an. In Zukunft soll es noch mehr Inhalte aus den Regionen Deutschlands geben, die bei den Senior*innen immer gut ankämen. Auch personalisierte Aufnahmen seien in Zukunft denkbar.

Um das Thema VR auch für den Hausgebrauch erschwinglich zu machen, wird es bald die App Remmy Gallery geben. „Mithilfe der Anwendung können Angehörige ganz leicht aus eigenen Familienfotos eine Galerie bauen und dazu sprechen“, sagt Roxana. Für die Nutzung brauche es nur ein Smartphone und eine einfache VR-Brille, die es bereits ab zehn Euro im Handel gebe. „Remmy Gallery ist ein schneller Einstieg. Wir haben schon einige Themen vorbereitet. Wenn man zum Beispiel Golf mag oder Hunde, kann man sofort in Erinnerungen abtauchen.“ Die Gespräche über weitere Aufträge für Fernsehsender laufen ebenfalls. 

„Es wäre schon mein Wunsch, weitere Dokumentationen zu produzieren“, sagt Roxana. Neben administrativen Aufgaben bei der Produktion wolle sie unbedingt auch weiter als Regisseurin und Autorin kreativ sein. Die Selbstständigkeit biete ihr Freiraum und Abwechslung – beides sei sehr wichtig für sie. Den 360-Grad-Blick auf sich und ihr Unternehmen hat Roxana auch ohne VR-Brille. „Ich habe vielleicht am Anfang nicht immer alles richtig gemacht, aber das gehört dazu. Ich würde nicht tauschen wollen.“

Veröffentlicht am 28. Juni 2022

Autorin: Anne Breitsprecher
Fotografin: Carolin Krekow