Eigentlich wollten der erfahrene Mechaniker und sein Bruder Tobias im nahegelegenen Wanzleben die Werkstatt eines leerstehenden Autohauses ausbauen und neu gründen. Dass es anders kam, war einer Website für Kleinanzeigen geschuldet.
„Kurz bevor wir in Wanzleben alles unterschreiben sollten, entdeckten wir auf eBay-Kleinanzeigen diese Werkstatt in Magdeburg zum Verkauf“, sagt Alex. Spannend an dem Angebot war für die Brüder, dass es sich um einen laufenden, voll ausgestatteten Betrieb mit Kundenstamm handelte, der bereits seit den 80er Jahren existierte. Dagegen sprach, dass nicht nur die Werkstatt verkauft werden sollte, sondern auch das gesamte Gebäude mit mehreren Wohneinheiten. Zu dem Zeitpunkt eine Hausnummer zu groß.
Eine einmalige Chance
„Der Preis war für uns ganz weit weg und der damalige Eigentümer hatte auch noch andere Interessenten“, so der Gründer. „Einen Kauf konnten wir einfach nicht realisieren, auch weil wir das Unternehmen vorher nur vom Hörensagen kannten. Es war nicht abzusehen, wie gut es laufen würde.“ Und doch hatten die Brüder sofort das Gefühl: „Wenn wir das nicht machen, kommen wir in die Hölle“, sagt Alex.
Der neue Haus-Besitzer hatte kein Interesse am Führen des Kfz-Betriebes, wohl aber an einem komplett vermieteten Gebäude. Da sich die Männer aus den Verhandlungsrunden kannten, bot er Alex und Tobias die Werkstatträumlichkeiten zur Pacht an.
Übernahme in Rekordzeit
Die grundsätzlichen Modalitäten waren schnell geklärt. Vom neuen Eigentümer kam der Mietvertrag und mit dem alten einigte man sich über den Firmenkauf. Doch für Übernahmeprozesses, der von April bis Juli 2021 in Rekordzeit stattfand, brauchte es weitere Unterstützung.
„Frau Zieler, die Gründungsberaterin der Handwerkskammer Magdeburg war bestimmt sehr froh, dass wir so viel Zeit hatten“, sagt Alex und lacht. Eigentlich sei alles kaum zu schaffen gewesen, reflektiert der Gründer heute. „Ich bin sehr dankbar, dass alle sich für uns ein Bein ausgerissen haben.“
Staffellauf der Institutionen
Er nennt die Beantragung der Meistergründungsprämie und die zügige Bearbeitung durch die Investitionsbank Sachsen-Anhalt oder das Existenzgründerdarlehen der KfW (Link: https://www.kfw.de/kfw.de.html). Auch sei ein Kredit der Hausbank für die Anschaffung von Maschinen und Werkzeug notwendig gewesen.
Frei nach dem Motto „Wenn schon, denn schon!“ übernahm Alex nämlich nicht nur die Karosserie Schäfer, sondern hielt zusätzlich an der Eröffnung der neuen Werkstatt in Wanzleben fest. „Bevor wir irgendwelche Verträge unterschreiben konnten, brauchte es die Bewilligung dieser Institutionen“, sagt Alex. „Das war schon ein harter Staffellauf – für alle.“
Doch der Coup gelang. Am 1. Juli 2021 hatte die Karosserie Schäfer einen neuen Inhaber. Kurz zuvor lernten Alex und sein Bruder bei einer sechswöchigen Übergabe die betrieblichen Abläufe und das dreiköpfige Team kennen. Danach hieß es: Ab ins kalte Wasser.
„Wenn wir Fragen hatten, konnten wir immer fragen. Die Übergabe verlief völlig problemlos und passierte auf Augenhöhe.“ — Alexander Hinz
Die Fähigkeiten dazu haben sich, wie die Entscheidung zu gründen, über mehrere Jahre entwickelt. Alex ist seit 2007 in der Kfz-Branche tätig. Es sei zu Beginn der typische Schrauber gewesen und habe am liebsten Tag und Nacht geschraubt.
Kalkulationen, Absprachen mit Kund*innen oder betriebswirtschaftliches Denken gehörten erst zu seinen Aufgaben, als er einen Job in einer kleinen freien Werkstatt übernahm. In einem Team aus drei Mitarbeitenden und zwei Lehrlingen waren alle gefragt.
Schicksalsschlag weckt Unternehmergeist
Durch einen Schicksalsschlag übernahm Alex noch mehr Verantwortung. „Mein damaliger Chef ist leider jung verstorben. Da standen mein Kollege und ich plötzlich vor ganz anderen Herausforderungen“, so der Gründer. „Wir haben die Werkstatt weitergeführt und mussten einfach funktionieren. Ich glaube, das war der Punkt, an dem in mir der Unternehmergeist geweckt wurde.“
Um seine fachlichen Kompetenzen auszubauen, absolvierte Alex seine Meisterausbildung im Anschluss in Vollzeit und übernahm danach die Werkstattleitung eines Autohauses. Zweieinhalb Jahre später wurde aus dem Gründungsgedanken Realität. Die Lebensumstände haben gepasst und der Mut war groß genug.
„Nicht ohne meinen Bruder“
„Ohne meinen Bruder hätte ich es jedoch nicht gemacht“, sagt Alex. „Er hat gesagt: Komm, wir ziehen das zusammen durch.“ Tobias Hinz ist ebenfalls Kfz-Mechaniker und hatte bereits Erfahrungen mit Selbstständigkeit. Zwischen den Brüdern gebe es laut Alex blindes Vertrauen. Mit niemandem anderen als seinem jüngeren Bruder hätte er diesen Schritt gewagt.
Haben sie im Gründungsprozess noch alles zusammen gemacht haben, sind die Aufgaben nun deutlicher getrennt. Während Tobias das Tagesgeschäft in der Werkstatt in Wanzleben führt, leitet Alex die Geschicke beider Firmen von Magdeburg aus. Er ist heute verantwortlich für Bestellungen, Kalkulationen, die Buchhaltung und die Unternehmensentwicklung.
Bis er sich fast ausschließlich auf den organisatorischen Teil fokussieren konnte, dauerte es jedoch eine Weile. Dass es nach eineinhalb Jahren möglich ist, ist auch eine Team-Leistung.
Den Karosseriebauer und die zwei Lackierer von Karosserie Schäfer hatte Alex übernommen. Sie sind immer noch dabei. Um alle Dienstleistungen rund ums Auto anbieten zu können, brauchte es am Anfang auch die Manpower des Chefs in der Werkstatt und perspektivisch mehr Mitarbeitende.
Eine Herausforderung in Zeiten des Fachkräftemangels. Als klar war, die Firma läuft, wuchs das Team nach und nach. Mittlerweile beschäftigt Alex acht Mitarbeiter*innen an beiden Standorten.
DasTeam ist wie Familie
Ein ehemaliger Mechaniker-Kollege folgte ihm, eine andere Stelle konnte er aus dem erweiterten Freundeskreis heraus besetzen. Und auch den Mechaniker, in dessen Werkstatt er als Jugendlicher die ersten Schraubversuche machte, gehört nun zu seinem Team. „Das ist wie Familie“, sagt Alex.
Dass es seinen Arbeitnehmer*innen gut geht, ist für den Gründer das Wichtigste. Sein Anspruch beim Aufbau seines Unternehmens? Es sollte einen familiären Charakter haben und eine offene Gesprächsatmosphäre geben.
Als die Gewinne es erlaubten, renovierte Alex daher als erstes die Küche, Pausenräume und Umkleidekabinen. „Die Leute verbringen die meiste Zeit ihres Tages hier, das sind 50 Prozent Lebenszeit“, so Alex. „Da ich selbst aus dem Angestelltenverhältnis komme, weiß ich, dass es einen Unterschied macht, ob ich mich in meinem Arbeitsumfeld wohlfühle oder ob es mich reizt.“
Umsatz verdoppelt im ersten halben Jahr
Eineinhalb Jahre nach der Übernahme gehe es der Karosserie Schäfer „fantastisch“. Im ersten halben Jahr konnten sie den Umsatz verdoppeln. Wie, dass kann sich Alex selbst nicht ganz erklären, denn Werbung habe er kaum gemacht.
Auch das übliche Abwandern von Kund*innen nach einem Inhaberwechsel lasse sich schlecht nachvollziehen. An Aufträgen mangele es jedenfalls nicht und auch der Alteigentümer komme mit seinem Auto vorbei. Probleme mit dem Loslassen habe es nicht gegeben. „Wenn wir Fragen hatten, konnten wir immer fragen. Die Übergabe verlief völlig problemlos und passierte auf Augenhöhe“, so Alex.
Firmenaufbau geht weiter
Nach Krisen und Zukunftsplänen für sein Unternehmen gefragt, sagt der Gründer: „Ich bin kein Schwarzmaler. Meistens versuche ich die Dinge so zu nehmen, wie sie kommen und dann das Beste daraus zu machen.“ In seinem Fall stehen alle Zeichen aktuell auf Wachstum und Stabilisierung der beiden Standorte.
Der Firmenaufbau geht immer weiter. Eine Umwandlung des Einzelunternehmens in eine GmbH ist in Planung. Es brauche mehr Leute, um seine Dienstleistungen auch weiterhin darstellen zu können. Das bedeute auch, dass Ausbildung ab 2023 ein Thema für Karosserie Schäfer ein Muss ist.
Wann aus Karosserie Schäfer die Karosserie Hinz wird? „Gar nicht“, sagt Alex. „Man kennt den Namen in der Stadt und der Region. Wir wären dumm gewesen, wenn wir den geändert hätten. Es reicht, wenn ich die Fäden ziehe. Mein Name steht auf jeder Rechnung.“
Veröffentlicht am 18. Januar 2023
Autorin: Anne Breitsprecher
Fotografin: Carolin Krekow