Grundstein für die Gründung im OP-Saal gelegt
Sinja begeisterte sich zu Schulzeiten, damals noch zu Hause in Kiel, für Mathematik und Naturwissenschaften. Danach hatte sie Lust etwas „Ingenieurmäßiges“ zu machen. An der Otto-von-Guericke-Universität in Magdeburg fanden Sinja und Sebastián beide einen für sie geeigneten Studienplatz. Im OP-Saal fand das Startup-Duo schließlich zueinander.
„In einem unserer Kurse haben wir uns Biopsien und andere Eingriffe angeschaut. Sebastián war mein Teampartner“, erinnert sich Sinja. „Unser Professor sagte immer, man muss zunächst das Problem genau analysieren, dann kann man eine Lösung entwickeln. Das war unsere Aufgabe im Kurs: Probleme identifizieren und technisch lösen.“ Damit legten sie unbewusst den Grundstein für ihr Startup InLine-Med.
Am Anfang war: das Problem
Bei einer Biopsie wird in der Regel per MRT (Magnetresonanztomografie) oder CT (Computertomografie) vor dem Eingriff ein Bild vom Körperinneren des Patienten gemacht. „Die Schwierigkeit für Ärzte besteht dann darin, die 2-D-Aufnahme auf den 3D-Körper des Patienten umzusetzen und die Nadel für die Gewebeentnahme innerhalb des beschränkten Raumes der Bildgebungsgeräte exakt einzuführen“, so Sinja.
Das bedeutet zum einen eine unergonomische Arbeitshaltung und eine erhöhte Strahlenbelastung unter CT-Bildgebung für die Radiolog*innen. Außerdem steigern eine falsche Positionierung und Ausrichtung der Nadel das Risiko, Gefäße oder Organe zu verletzen. Noch schlimmer, es kann zu einer Fehldiagnose oder unzureichender Tumortherapierung führen. Da war es, das Problem.
Sinja und Sebastián entwickelten auf dieser Basis Assistenzgeräte, die es ermöglichen, bei allen bildgesteuerten Eingriffen noch genauer vorzugehen. Bisher gibt es auf dem Gebiet der interventionellen Radiologie dafür nur teure und nicht für alle Körperteile geeignete Roboter. Nur wenige Kliniken können sich das leisten. Die Produkte von InLine-Med sind daher vor allem platzsparend, breit einsetzbar und massentauglich. Neben einem Markierungsgitter, dem FLEXPATCH, für die anatomische Orientierung haben die Medizintechniker*innen mit FLEXLINE auch eine Art Winkelapparat entwickelt, der beim exakten Einführen der Nadel unterstützt. Bei der Visualisierung und Planung hilft ihre Software FLEXPLAN.
„Als Medizintechniker haben wir hier im Wissenschaftshafen der Stadt ein perfektes Umfeld und tolle Strukturen, die wir gut kennen.“ — Sinja Lagotzki
Bereit für den internationalen Markt
Wann die beiden wussten, dass sie damit Geld verdienen können? „Als eine Firma Sebastián die Idee abkaufen wollte und unser Professor Michael Friebe das Vorhaben unterstützte. Er selbst bringt als Unternehmer und Business Angel für Innovation in der Medizintechnik eine langjährige Erfahrung mit und steht uns daher stets mit gutem Rat zur Seite“, sagt Sinja. „Da wir schon während des Studiums ein tolles Team waren, starteten wir auch gemeinsam in das eigene Startup.“
Seitdem ist Sebastián bei InLine-Med für die Ideenentwicklung und -umsetzung zuständig und Sinja für die Detailfragen. „Auch sprachlich ergänzen wir uns gut. Sebastián spricht Spanisch, ich Deutsch, und miteinander kommunizieren wir auf Englisch. Schon unser Masterstudium fand in englischer Sprache statt. Für einen Markteintritt, auch international, sind wir gut aufgestellt.“
Noch fehle für diesen Schritt die langwierige und kostenintensive Zertifizierung. Dank eines sechsstelligen Investments aus dem „Startup Gladiator“-Programm der bmp Ventures AG ist jedoch auch die gesichert. Nicht das einzige Mal, dass es für InLine-Med Unterstützung gab. „Gerade am Anfang haben wir viel mit dem Transfer- und Gründerzentrum der Uni zusammengearbeitet“, sagt Sinja. „Wenn man aus der Uni heraus gründen will, ist das eine gute Anlaufstelle mit guter Expertise für alle wesentlichen Fragen zum Start.“
Auch das „Founders Playbook“, ein Leitfaden für Startup-Gründer*innen von Professor Graham Horton, Innovationsberater und Lean-Startup-Experte aus Magdeburg, und seine Beratung halfen beim Aufbau des Startups. Gerade am Anfang waren für Sinja und Sebastián vor allem zwei finanzielle Hilfen wichtig: das EXIST-Gründerstipendium – ein Förderprogramm des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie – und das Gründerstipendium ego.-START des Landes Sachsen-Anhalt. „So konnte man herausfinden, in welche Richtung es geht und ob das Projekt so umsetzbar ist, ohne finanziellen Druck“, sagt Sinja.
Schritt für Schritt zum Pitch
Der Investforum Startup-Service von Univations aus Halle (an der Saale) und das Projekt AIMS - Accelerate Innovation in Material- & Life-Sciences brachten die Magdeburger Jungunternehmer*innen weiter nach vorne. „Wir wurden individuell beraten und haben nicht nur potenzielle Investoren kennengelernt, sondern auch andere Startups aus unserer Branche, mit denen wir uns austauschen konnten“, sagt Sinja. „Es tut manchmal einfach gut, zu wissen, dass man mit seinen Erfahrungen nicht allein ist. Wenn man zum Beispiel zum ersten Mal ein Patent anmeldet, hat man viele Fragen“, sagt sie und lacht. „Und man macht als Startup viele Dinge zum ersten Mal.“
Auch das Pitchen, das Werben für die eigene Idee vor möglichen Investor*innen, will gelernt sein. Gelegenheit dazu gab es für das InLine-Med-Team unter anderem beim Investforum Pitch-Day 2019 in Halle, ein fester Termin für Startups auf der Suche nach Kapitalgebern in Sachsen-Anhalt.
Auf dieses Event vorbereitet hat sie unter anderem das Life-Sciences-Accelerator-Programm des Landes, für das sich Sinja und Sebastián erfolgreich beworben haben. Coaches und Mentor*innen der Life-Science-Branche machten aus der Wissenschaftlerin und dem Wissenschaftler in mehreren Blockseminaren echte Unternehmer*innen. Sie vermittelten wichtiges Know-how vom Aufbau des Geschäftsmodells über rechtliche Aspekte beim Vertrieb von Medizinprodukten bis hin zum Bewerben der eigenen Sache: wertvolle Erfahrungen für das vielversprechende Startup von der Elbe.
Im Magdeburger Wissenschaftshafen verankert
Ob sie im Gründungsprozess ihren Firmenstandort Magdeburg jemals infrage gestellt haben? „Als Medizintechniker haben wir hier im Wissenschaftshafen der Stadt ein perfektes Umfeld und tolle Strukturen, die wir gut kennen.“ Das seien große Vorteile, so Sinja. Beispielsweise unterstützte sie der Forschungscampus STIMULATE in Forschungsfragen und mit der Infrastruktur an MRT- und CT-Geräten. Natürlich mache Sachsen-Anhalt nur einen geringen Teil ihres potenziellen Marktes aus. Das sei jedoch kein Grund, an einen anderen Ort zu gehen. „In einer anderen Stadt müssten wir unser Netzwerk neu aufbauen, das würde uns zeitlich zurückwerfen. Hier nutzen wir unsere Kontakte und genießen die ausgezeichnete Unterstützung von Wissenschaft, Wirtschaft und Kliniken, da wir hier nicht eins von Tausenden Startups sind.“
Eine reine Vernunftentscheidung ist Magdeburg jedoch nicht. „Wir identifizieren uns mittlerweile beide mit der Stadt. Ich habe hier alles an einem Ort. Ich kann alles schnell mit dem Fahrrad erreichen und viel Grün um mich. Es ist schön und nicht riesig wie Berlin“, findet Sinja. „Hier geht man nicht unter.“
Veröffentlicht am 13. Oktober 2020
Autorin: Anne Breitsprecher
Fotografin: Carolin Krekow