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Die Näherei: Weil Qualität immer Mode ist

Mick Hennig und sein Team nähen in Groß Quenstedt bei Halberstadt Kollektionen für Designer*innen und Modefirmen, die Wert auf deutsche Handarbeit legen.

Groß Quenstedt. Das Surren der Nähmaschinen hat sich schon früh in den Soundtrack von Mick Hennigs Leben gemischt. Bereits die Großeltern des 24-Jährigen waren Schneidermeister in Nörtling. „Wenn ich nach dem Kindergarten abgeholt wurde, dann saß ich mit in der Werkstatt“, sagt Mick, der seine ersten Lebensjahre in Bayern verbrachte. Lange blieb es bei einer wohligen Kindheitserinnerung. 

Dass Mick seit 2020 Die Näherei in Groß Quenstedt betreibt, sein eigenes Unternehmen, in dem er täglich Schnittmuster namhafter Modefirmen auf Stoffe legt, sie zuschneidet und zu ganzen Kollektionen vernäht, ist trotzdem eher einem Zufall geschuldet. „Was ich arbeitstechnisch mal machen wollte, davon hatte ich als Teenager überhaupt keinen Plan“, so der Gründer. Als mit 14 Jahren das erste Schülerpraktikum auf dem Lehrplan stand, entdeckte Mick die alten Nähmaschinen von Oma und Opa wieder. „Da dachte ich mir: Ja, probiere ich doch das Schneidern.“

Er interessierte sich für Mode, noch mehr aber für die Maschinen. Es sei erstaunlich, was die Automaten alles könnten und was sich im Team erreichen ließe. Bei der ersten Serienfertigung, an der er als Schüler mitgenäht hat, entstanden 120 Pfadfinderblusen und der Wunsch, nie wieder etwas anderes zu machen. „Danach war ich in allen Ferien zum Arbeiten dort und immer, wenn wieder ein Praktikum anstand“, sagt Mick. „Letztlich habe ich auch meine erste Ausbildung zum Damenschneider dort gemacht. Daran gab es nichts mehr zu rütteln.“


Corona-Pandemie statt Meisterausbildung

An derbayrischen Staatsoper lernte er anschließend die Maßschneiderei kennen und wechselte ins Herrenfach. Seine Gesellenprüfung bestand Mick mit Auszeichnung. Die Abwechslung und Vielfalt, der Anspruch an die Qualität und die Multikulti-Atmosphäre, all das machte für den Anfang Zwanzigjährigen lange den Reiz am Theater aus. „Ich wurde übernommen und erarbeitete mir die Stellung des Großstückmeisters“, sagt Mick. „Das war die beste Position. Ich habe ausschließlich Sakkos und Mäntel gemacht, also die aufwendigen Teile.“ Das habe ihm zwar gefallen, sei als Perspektive dann aber doch zu langweilig gewesen.

Er wollte mehr, sich als Schneider weiterentwickeln und die Meisterausbildung sollte ihm das nächste Level ermöglichen. Daher kündigte Mick und legte einen Zwischenstopp bei seiner Familie ein, die mittlerweile in Groß Quenstedt, dem Heimatort seines Vaters lebte. Es war Anfang 2020 und der Ausbruch der Corona-Pandemie nur wenige Tage entfernt.

„Du musst gewisse Kapazitäten abarbeiten können und brauchst eine bestimmte Anzahl von Mitarbeitern, sonst dauert alles zu lang und du kommst mit der Kalkulation nicht hin.“ — Mick Hennig

Aus einem Besuch wurde zwangsläufig ein Lebensmittelpunkt. Die Meisterschulung fand nicht statt, die Theater mussten schließen und Mick halfen erneut die großelterlichen Nähmaschinen auf die Sprünge. Als der Ruf nach Masken am lautesten war, fing er an zu nähen. „Ich hatte meine Werkstatt hier und dann habe ich einfach die Maschinen angeschmissen und ein paar Masken genäht“, sagt Mick. „Und dann habe ich auch Auftraggeber gefunden, die gleich große Stückzahlen wollten.“ Er habe genäht wie verrückt und auch seine Familie mit eingespannt. Die Gründung eines eigenen Unternehmens, die er früher oder später geplant hatte, fand direkt statt – in Sachsen-Anhalt. „Ich hatte eigentlich gar keine andere Wahl.“

Unter anderen Umständen wäre Mick auch in Bayern geblieben, aber sein Vorhaben benötigte Platz. Den fand er in Sachsen-Anhalt direkt auf dem Hof seiner Eltern. „Ich wollte mir was Eigenes kaufen, hier in der Umgebung und hatte auch schöne Angebote gefunden“, sagt Mick. „Doch meine Eltern meinten: Mach es zu Hause. Besser geht es doch nicht.“ Seine Familie gibt ihm Kraft. „Es ist ein schönes Gefühl, zu wissen, dass sie da sind, wenn man auch mal jemanden zum Sprechen braucht. Das tut schon gut.“


Eine Woche bis zur Gründung

Micks Vater ist selbstständiger Hufschmied und auch seine Großeltern waren Unternehmer. Vor dem Gründen hatte der Schneider aufgrund dieser Vorbilder keine Angst und bereits während der Ausbildung arbeitete er gedanklich an seiner Geschäftsidee. Das meiste sei learning by doing gewesen und ein Termin bei der Gründungsberatung der Handwerkskammer Magdeburg. Dort erfuhr er, was es braucht, um sich selbstständig zu machen, und er erhielt Unterstützung beim Erstellen eines Businessplans. Eine Woche danach war es auch schon so weit. Zeit, sich auf mehr vorzubereiten, hatte der Gründer nicht, denn die ersten Designer*innen winkten bereits mit Aufträgen, nachdem Mick seine Nähdienste auf einem Portal für Modefirmen beschrieben hatte.

Die Zeichen standen gleich zu Beginn auf Wachstum. „Ganz am Anfang war ich im Wohnhaus, im Keller. Da standen schon recht viele Maschinen drin“, sagt Mick. „Aber um eine Produktion wie jetzt zu führen, das hätte auf keinen Fall gereicht.“

Die ersten Nähmaschinen waren von den Großeltern, dazu kamen welche von Ebay. Und so ging es weiter. Irgendwann brauchte der Jung-Unternehmer auf einen Schlag viele Maschinen und einen großen Zuschnitt-Tisch und einen neuen Anbau, um seine Aufträge abarbeiten zu können. Ohne Kredit wäre das nicht möglich gewesen – auch nicht ohne Mitarbeitende.

„Du musst gewisse Kapazitäten abarbeiten können und brauchst eine bestimmte Anzahl von Mitarbeitern, sonst dauert alles zu lang und du kommst mit der Kalkulation nicht hin“, so Mick. Mit ihm an den Nähmaschinen sitzen seit 2022 vier Angestellte und eine Auszubildende. Sein Team zu finden, sei vielleicht die größte Hürde im Gründungsprozess gewesen. „Hier in der Gegend gab es früher viele Kleiderwerke, wo unendlich viele Näher gearbeitet haben“, sagt Mick. Von ihnen hätten sich in Ermangelung von geeigneten Jobs jedoch viele beruflich umorientiert oder stünden mittlerweile kurz vor der Rente. „Die Mitarbeitersuche gestaltet sich schon schwer.“


Gegenentwurf zu Fast Fashion

Im Gegensatz dazu kamen die Kund*innen von Die Näherei fast von selbst. Die eigene Internetseite und das Inserat auf einem Portal hätten genügt, um nach und nach immer mehr Designer*innen und Firmen für sich zu gewinnen. Mick und sein Team produzieren Kleinserien und größere Kollektionen mit Stückzahlen von 300 bis 500 pro Modell. Akquise? Nicht notwendig. „Die Firmen, die in Deutschland produzieren, legen halt Wert auf Made in Germany, da unsere Qualität ja doch noch ein bisschen heraussticht“, sagt der Schneider.

Was er unter Qualität versteht? „Natürlich ein sicheres Nahtbild, die Maßgenauigkeit, dass keine Fäden von der Kleidung hängen und man qualitativ hochwertige Stoffe verwendet“, so Mick. „Nicht dass die nach dem dritten Mal waschen, schon Adieu sagen.“ Verzogene Nähte, schiefe T-Shirts wird es mit seinem Unternehmen nicht geben. Die Überproduktion und der Wertverlust der Bekleidung durch die sogenannte Fast Fashion sind nicht Micks Fall. Er möchte mit seinem Unternehmen etwas dagegensetzen und langlebige Mode herstellen wie schon seine Großeltern.

„Meine Oma hat früher für die großen Münchener Modehäuser wie Escada genäht“, sagt Mick. Ein Teil habe er bei Ebay entdeckt und gekauft. „Dass das 30 Jahre später noch existiert, ist schon cool. Das ist eben noch Made in Germany.“

Veröffentlicht am 26. September 2022

Autorin: Anne Breitsprecher
Fotografin: Carolin Krekow