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Café und Bistro Lavanderia: Cheesecake für die Altmark

Die Sicherheit von 25 Jahren im Angestelltenverhältnis tauschte Andrea Thom aus Stendal gegen Kuchenduft und glückliche Gäste.  

Stendal. Ein Duft sagt mehr als viele Worte. Menschen können Milliarden von Gerüchen unterscheiden. Das Hirn verwandelt sie in Botschaften, die vor Gefahren warnen, motivieren oder an die Kindheit erinnern.  

Im Café und Bistro Lavanderia duftet es nach einer warmen Mischung aus guter Butter und Zucker, die sagt: Hier bist du willkommen. Inhaberin Andrea Thom muss diese Einladung nicht laut wiederholen, sie steht ihr ins Gesicht geschrieben. „Ich möchte meine Gäste zum Lächeln bringen, das ist mir total wichtig“, sagt die 50-Jährige.  
 

Im Herbst 2018 erfüllt sie sich in Stendal den Traum vom eigenen Café. Andrea tauscht nach 25 Jahren den sicheren Job als Sozialversicherungsfachangestellte gegen die Selbstständigkeit und macht ihre Leidenschaft fürs Backen zum Beruf. Der Weg dahin war lang. „Ich habe für eine Krankenkasse in der Pflege-Fachabteilung gearbeitet“, sagt die gebürtige Stendalerin. „Das hat mir total Spaß gemacht. Ich hatte ganz tolle Kollegen und unheimlich dankbare Versicherte. Aber es kamen so viele Dinge zusammen.“  

Sie musste immer mehr Kilometer für ihre Arbeit zurücklegen, immer mehr Aufgaben erledigen, bis ein Beinahe-Unfall alles veränderte. „Im Herbst 2017 kam mir auf meinem Heimweg von Magdeburg nach Stendal eine Autofahrerin frontal entgegen. Vielleicht übermüdet, ich weiß es nicht“, erinnert sich Andrea. Ganz knapp vor ihr scherte das andere Auto damals ein. „Ich bin so auf die Bremsen gegangen. Ich hatte zittrige Beine. Es war schrecklich. Das habe ich nicht mehr vergessen.“ Ein Gedanke lässt sie von da an nicht mehr los: Man hat nur dieses eine Leben, und daraus sollte man etwas machen.  


Aus Liebe zum Backen und zu gutem Service

Gebacken hat Andrea schon immer gern, am liebsten mit frischen und hochwertigen Zutaten. Ihr Herz schlägt für Mediterranes, für Kräuter und frische Früchte. Bei ihrem Mann und ihren zwei Kindern kommen die immer neuen Kreationen jedoch nicht so gut an. „Mein Mann hat immer gesagt, ich solle nicht so viel backen, er kann das gar nicht alles essen“, sagt die Café-Besitzerin und lacht. Statt der eigenen Familie beschenkt sie Freund*innen mit Torten und Kuchen. Besucht sie selbst ein Restaurant oder Café, ist ihr die Präsentation oft zu lieblos, vermisst sie die Freundlichkeit im Service oder stört sich an Kunstblumen auf dem Tisch – ein absolutes „No-Go“ für die Ästhetin. „Ich habe mich nirgends mehr wohlgefühlt und bin immer kritischer geworden“, sagt Andrea. „Und dann dachte ich irgendwann: Eigentlich kann ich das doch selber besser machen.“  

Statt sich ihrer Situation zu fügen und bis zur Rente in ihrem Job zu bleiben, will sie ihr eigenes Café eröffnen – mit Gebäck fernab von Streuselschnecken und Pfannkuchen. Nur außer der Gründerin selbst glaubt zunächst niemand in ihrem Umfeld, dass das eine gute Idee ist. „Gib nicht deine Existenz und deine Sicherheit auf, hat man mir gesagt“, so Andrea. „Aber ich habe es gemacht, weil ich todunglücklich war.“  


Ein Café mit Frühstück für Stendal

Sie ist überzeugt: Ein Café wie das in ihrer Vorstellung fehlt in Stendal und passt in die idyllische Altstadt mit dem bunten Häusermix von Fachwerk bis Backsteingotik. Sie träumt von einem gemütlichen Ort für ein ausgedehntes Frühstück mit der besten Freundin, den sie selbst lange vermisst hat.    

Um ein Gefühl für den Finanz- und Personalbedarf zu bekommen, fragt sie in anderen Cafés in der Region. Sie tastet sich heran. „Ich hatte gar keine Ahnung und habe viel im Internet nachgelesen“, sagt Andrea. "Aber ansonsten musst du alles alleine machen und vieles schätzt man total falsch ein. Ich habe zum Beispiel zu viele Gläser. Die sind immer noch verpackt."  

Ein Start in kleinen Räumlichkeiten mit einem kleinen Kredit soll es werden, um sich nicht gleich am Anfang zu übernehmen. Doch es passiert genau das Gegenteil. Fast zwei Jahre sucht sie nach einem Zuhause für ihr Café. In einer alten Wäscherei, die jede Menge Platz bietet, hat sie endlich das Gefühl: Es passt.  

"Ich bin jeden Tag glücklich darüber, dass ich das machen darf. Dass die Leute mögen, was ich mir einfallen lasse." — Andrea Thom 

Nein zur "Quietsche"

Beim „Schickmachen“ lässt sie sich von einem Architekturbüro aus Tangermünde beraten. Ein befreundeter Fotograf macht die Bilder für ihre Website und Instagram, ein anderer Freund entwirft ihr Logo. Der Name Lavanderia ist Andreas Idee: „Ich wollte das Café zuerst immer ‚Quiche & Tarte‘ nennen.“ Doch das stößt auf Protest. Was denn eine „Quietsche“ sei, hätten Freund*innen gefragt und damit die vermeintliche Reaktion des altmärkischen Publikums nachgeahmt. „Dann habe ich irgendwann gesagt: Wir nennen das Café Lavanderia. Das ist italienisch für Wäscherei und das Café war mal eine Wäscherei. Zack, das haben wir.“  

Bei Guacamole und Pancakes geht die "Luzi ab"

Nun hat sie es eilig, sie will ins Machen kommen. Der Umbau findet innerhalb weniger Wochen statt und im Herbst 2018 eröffnet Andrea ihren ersten eigenen Laden ganz nach ihrem Geschmack. Was sie mag und was es in Stendals Gastronomie noch nicht gibt, landet auf der Speisekarte der Lavanderia: New York Cheesecake, Toast mit Guacamole, Porridge, Pancakes und, und, und.  

Das Café brummt vom ersten Tag an. Es geht direkt die „Luzi ab“. Auch wenn Andrea den Altmärker*innen am Anfang oft erklären muss, dass Guacamole ein Dip aus Avocados ist und Pancakes eine Art Eierkuchen sind. Bei all dem Zuspruch wächst auch ihr Team beinahe von allein. „Ich habe so ein Glück gehabt“, sagt Andrea. „Die Leute sind immer von sich aus gekommen und wollten bei mir arbeiten. Das fand ich so toll.“ Für die Hobby-Bäckerin eine echte Ehre angesichts des Fachkräftemangels in der Gastronomie.  


Cupcakes, Care-Pakete und Corona

Corona stellt das gut laufende Café auf den Kopf. Das Team verkleinert sich, da der To-go-Betrieb weniger Personal erfordert. Und doch bringt die Pandemie auch Positives hervor – vor allem neue Ideen. „Ich hätte niemals Cupcakes gemacht, weil ich eigentlich nicht der Creme-Typ bin“, sagt Andrea. Aber durch Corona und die Zwangspause versucht sie sich an den tassengroßen Kuchen mit Häubchen. „Das schlug ein wie eine Bombe. Inzwischen macht mir das richtig Spaß, weil ich mich total ausleben kann mit frischen Blüten, Früchten und verschiedenfarbigen Toppings.“ Erzählt Andrea von ihren neuesten Kreationen, strahlt sie über das ganze Gesicht. Die Ideen scheinen ihr nie auszugehen. 

Sie experimentiert mit veganen Rezepten oder stellt für den Lockdown Care-Pakete zusammen, also Boxen mit kleinen Menüs aus regionalen Zutaten, die vor allem Firmen für die Mittagsversorgung oder als Alternative zur Betriebsfeier nutzen. Torten und Kuchen backt Andrea nun auch auf Bestellung für private Anlässe – Nachfrage steigend. Sieben Tage die Woche steht sie im Café und hält den Laden am Laufen. Ein Kraftakt. Die gute Nachricht: „Das Café steht noch.“ Gegründet zu haben, bereut sich trotz aller Unsicherheiten und der ungeliebten Buchhaltung nicht. „Ich bin stolz, dass ich mich getraut habe, obwohl alle dagegen waren“, sagt Andrea. „Ich bin jeden Tag glücklich darüber, dass ich das machen darf. Dass die Leute mögen, was ich mir einfallen lasse.“ 


Gänseblümchen machen Mut

Stolz ist auch ihre Familie, obwohl die nun häufiger ohne sie auskommen muss. Gerade Andreas Eltern hatten zu Beginn große Probleme mit der Selbstständigkeit ihrer Tochter. Ihr Vater war selbst lange Unternehmer, weiß, wie schwierig es sein kann. „Als das anfing mit Corona, hat er mir das erste Mal gesagt, dass es ihm so leidtut und dass ich bitte in solchen Dingen nie wieder auf ihn hören möge“, sagt Andrea. Er hätte nie gedacht, dass das Café so gut ankommt. Seitdem bringt er ihr jede Woche Gänseblümchen in die Backstube, mit denen sie ihre Kuchen verziert.  

Sie solle in jedem Fall weitermachen, sagt ihr Vater. Das motiviert, genau wie der Gesichtsausdruck von Kindern, denen sie ein Cookie schenkt oder das Vertrauen in sie, auch bei den großen Anlässen das richtige Gespür zu haben. Wenn Hochzeitsgäste eine Torte bei ihr bestellen, dann heißt es manchmal nur: „Du machst das schon."

Veröffentlicht am 20. Juli 2021

Autorin: Anne Breitsprecher
Fotografin: Carolin Krekow