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90 Grad: Vier Freunde für eine Boulder- und Parkour-Halle

Marten Hübner und David Frenzel klettern in ihrer Freizeit am liebsten ohne Seil und überwinden Hindernisse springend oder mit einem Salto. Gemeinsam mit zwei Freunden haben sie daraus eine Geschäftsidee entwickelt, die ihre Heimat, die Altmark, attraktiver machen soll.

Arendsee. Buden bauen, auf Bäume klettern, im Schlamm spielen – Hauptsache draußen sein, und das gerne im Wald und in Bewegung. Wenn Marten Hübner und David Frenzel über ihre Kindheit in der Altmark sprechen, klingt das idyllisch und vor allem sportlich. Ihre Sportart damals im SV 04 Rohrberg: Judo. „Wir haben dort trainiert und irgendwann das Training übernommen. Ohne uns und besonders Frank gäbe es die Sektion wahrscheinlich nicht mehr“, sagt David.

Viel gab und gibt es ihrer Meinung nach nicht im dünn besiedelten, aber landschaftlich schönen Norden Sachsen-Anhalts. Wollten sie mit ihren Freunden Sönke Rückwardt und Frank Pelczarski mehr erleben, hieß das: Ab in den Bus nach Lüneburg, Braunschweig oder Wolfsburg. Das soll sich mit der gemeinsamen Firma 90 Grad der vier Männer bald ändern. Die Gründer wollen die erste Boulder- und Parkour-Halle in Salzwedel auf die Beine stellen und so einen Ankerpunkt in der Altmark schaffen.


Akrobatik aus dem Internet begeistert 

„Bouldern ist nicht klettern“, erklärt Marten. „Beim Bouldern gibt es kein Seil und keinen Gurt.“ In einer Höhe, in der das Abspringen ungefährlich ist, erschließt man sich mit Händen und Füßen entlang von Griffen und Tritten bestimmte Routen. Je akrobatischer man ans Ziel kommt, desto besser. Auch beim Parkour geht es um das Überwinden von Hindernissen aus eigener Körperkraft. Mit einer halben Drehung geht es dabei über ein Geländer oder im Katzensprung über eine Mauer, und das möglichst geschmeidig und schnell.

Die Begeisterung für Parkour entwickelte der Freundeskreis im Teenageralter über Filme und das Internet. „Wir schauten uns auf YouTube Anleitungen für Salti an“, sagt der 28-jährige Marten. „Irgendwann stellten wir uns Hindernisse in der Sporthalle zusammen“, so David. Die Bewegungsabläufe seien durch ihr Judo-Training schon da gewesen, sie mussten ihre Lieblingsszenen aus den Clips nur noch reproduzieren. Das Bouldern entdeckte Marten später im Studium für sich und steckte anschließend auch den Rest der Clique mit seiner Begeisterung an.


Das richtige Umfeld für zwei Sportarten

In ihrer künftigen Halle will die junge Firma das richtige Umfeld und Kurse für beide Sportarten und alle Altersklassen bieten. „Leute, die Parkour machen, gehen Bouldern, weil sie die Griffkraft brauchen, und Boulderer machen Parkour, weil man sich bei vielen Routen auch dynamisch bewegen muss“, sagt David. „Beide Sportarten passen gut zusammen und wir bringen sie unter ein Dach.“ In ganz Deutschland gäbe es laut eigenen Recherchen nur zwei vergleichbare Hallen – keine liege in der Nähe der Altmark.

„Unser Businessplan ist zu 95 Prozent vollständig. Die ganze Finanzplanung steht und fällt allerdings mit dem Standort.“ — David Frenzel

Dass sie in der Region mal was starten wollen, darüber hat der Freundeskreis um Marten und David immer wieder gesprochen, auch als es sie nach der Schule nach Hamburg, München und Leipzig verschlug. „Wir haben uns oft gefragt, warum hier alles so tot ist“, sagt der Marten. „Wir hatten kurz die Idee, hier Wohnungen zu renovieren. Wir mussten dann aber feststellen, dass wir davon gar keine Ahnung haben und es zu lange dauern würde.“ Auch die Gründung eines neuen Vereins war im Gespräch, doch die Komplexität des deutschen Vereinsrechts schüchterte ein. Erst der Jahreswechsel von 2019 auf 2020 brachte Klarheit.


Wink des Schicksals

„Es war auf der Rückfahrt von einer Silvesterfeier auf Rügen, als wir auf das Thema Boulderhalle kamen“, so Marten. „Sönke und ich dachten plötzlich: Das dürfte doch nicht so schwer sein. Lass das machen.“ Zur gleichen Zeit bereisten David und sein Vater Neuseeland. „Mein Vater war dort zum ersten Mal bouldern“, sagt der 24-Jährige. „Damals haben wir uns gedacht, dass man das doch auch in der Altmark machen könnte. Wir waren auf zwei Erdhälften und hatten zum fast gleichen Zeitpunkt die gleiche Idee.“ Ein Wink des Schicksals, auch wenn den Gründern diese Bezeichnung eigentlich „zu schnulzig“ ist.

Zum Kick-off im Frühjahr 2020 war der ganze Freundeskreis eingeladen. Es kamen Bundeswehroffizier Sönke, Erzieher Frank, Arbeitsschutz-Experte Marten und IT-Spezialist David. Sie bestellten Pizza und schrieben ihre Wünsche und Visionen auf bunte Zettel. Versuchten, der Idee Struktur zu geben. Am Ende des Abends stand vor allem die Entscheidung: Ja, wir machen das.


Gründen als Mittel zum Zweck

Dass die vier dafür etwa ein Jahr später neben ihren Vollzeit-Jobs eine Firma gründen würden, wurde erst klar, als es um den richtigen Rahmen für das Vorhaben ging. „Das Gründen stand bei uns nie im Vordergrund“, sagt David. „Es ist Mittel zum Zweck, da wir eine rechtliche Grundlage brauchen, auf der wir handeln können. Wir haben viel zwischen Genossenschaft und GmbH diskutiert.“

Für die GmbH sprach, dass sich das wirtschaftliche Risiko auf die Stammeinlage von 25.000 Euro beschränkt und dass es direkt losgehen konnte. „Die GmbH fühlte sich für uns am schlüssigsten an“, so David. „Bei der Genossenschaft wären wir auf andere Leute angewiesen gewesen, die Lust haben mitzuwirken und Anteile zu kaufen. Wir gehen aber nicht davon aus, dass das gleich am Anfang passieren wird.“ Progressiv sei noch untertrieben: Für die Altmark sei es fast schon futuristisch, was sie vorhaben. Trotzdem glauben sie an ihre Idee, auch wenn sie sich einige Dinge leichter vorgestellt hatten, unter anderem die Suche nach einer Halle.

„Wir sind mit diesem naiven Gedanken rangegangen: Na, hier steht ja viel leer. Das kann man doch alles benutzen“, sagt Marten. „Doch die meisten Objekte sind irgendwelche Backsteinscheunen, die halb auseinanderfallen.“ Auch das Thema Brandschutz war ein eher unterschätztes, wie das Team von 90 Grad feststellen musste. Doch langsam fügen sich die Dinge. Eine Halle, in der aktuell noch Sanitäranlagen gefertigt werden, ist im Gespräch. Von der passenden Immobilie hängt für 90 Grad alles ab.

„Unser Businessplan ist zu 95 Prozent vollständig. Die ganze Finanzplanung steht und fällt allerdings mit dem Standort“, sagt David und spricht vom Dilemma Henne-Ei-Prinzip. „Ein Boulderwandbauer baut einem nur ein Design, wenn man auch eine Halle hat. Wir brauchen die Halle, um unsere Kosten konkret planen und wieder zur Bank gehen zu können.“


Eine Spielwiese für das Gründerteam

Und doch konnte die 90 Grad GmbH bereits Einnahmen generieren. Das KiEZ Arendsee engagierte sie als Dienstleister. Zustande kam der Kontakt zum Kinder- und Jugenderholungszentrum über die Wirtschaftsförderung des Altmarkkreises. „Wir hatten dort eine Beratung und offensichtlich hat man sich daran erinnert, was wir vorhaben“, sagt David. Das KiEZ wollte eine Außenanlage neugestalten und dachte ans Klettern, um attraktiver für Besucher*innen zu werden. Das Gründerteam konzipierte Ideen für Parkour- und Boulderelemente und erhielt den Zuschlag. „Es war eine Spielwiese, auf der wir uns ausprobieren durften“, sagt Marten. „Wir konnten schon mal mit Anbietern sprechen und sehen, worauf es ankommt.“ Seit Anfang Oktober 2021 steht der neue KiEZ-Erlebniswald. Eine wichtige Erfahrung für das Unternehmen. Nun liegt der Fokus auf der eigenen Halle.


Rückkehr nicht ausgeschlossen

Um die zu realisieren, sind die Gründer auch auf Likes angewiesen. Über Erklärvideos und lustige Clips versuchen sie seit dem Start, in den sozialen Netzwerken Menschen für ihr Vorhaben zu begeistern. Reichweite als Argument für das nächste Bankgespräch. Geht es nach Marten und David wissen bald mehr als nur zehn Leute in Salzwedel, was Bouldern und Parkour sind. Die beiden sind zuständig für TikTok und Instagram, Sönke ist der Geschäftsführer und Frank ist als Pädagoge für den geplanten Kinderbereich verantwortlich. David und Marten sind die Boulder-Experten, für Sönke und Frank ist Parkour der zentrale Sport. Die Basis für ihr Unternehmen: 15 Jahre Freundschaft und eine tiefe Verbundenheit zur Altmark.

Wenn sie sich treffen, dann zu Hause in Rohrberg. Sie glauben an das Potenzial der Region, können sich vorstellen, ganz zurückzukommen. Das sei das indirekte Ziel ihrer Geschäftsidee. Nur noch nicht jetzt, eher mittelfristig. Auf ihre Jobs und das Großstadtleben wollen sie vorerst nicht verzichten. „Bis ich hier sesshaft werde, braucht es noch einen Moment“, sagt David. „Aber wenn ich mir vorstelle, irgendwann mal zwei Kinder rumspringen zu haben, dann in der Altmark, weil ich hier auch schon gerne rumgesprungen bin.“ 

Veröffentlicht am 16. November 2021

Autorin: Anne Breitsprecher
Fotografin: Carolin Krekow